Nordhessische … Sagt das Fusion Festival ab!

Abstract

Wie viel Sicherheit verträgt Freiheit, warum braucht man für 70.000 Raver eine BFE und zweieinhalb Mal mehr Polizisten als für 85.000 Metal-Fans? Mit welcher Eskalation plant das Polizeipräsidium Neubrandenburg beim diesjährigen Fusion Festival? Ist es sinnvoll die Eskalation einfach abzusagen?

Der Eskalation vorbeugen

Ein bislang friedliches Festival

20 Jahre lang hat das Fusion Festival friedlich in Lärz an der Müritz stattgefunden, 2018 gab es eine Pause und jetzt 2019 soll das Festival wieder stattfinden. Dabei werden das Sicherheitsheitskonzept der Veranstalter sowie das des Polizeipräsidiums Neubrandenburg kontrovers diskutiert. Anfangs wurde über die Notwendigkeit von rund 1000 Polizeibeamten (was garantiert nicht eine Hundertschaft ist – sondern zehn Hundertschaften) auf und in der Nähe des Festivals diskutiert. Heute berichtet berichtet ZEIT Online ausführlich über das polizeiliche Sicherheitsheitskonzept sowie Hintergründe dazu und nennt eine „Truppenstärke“, die so gar nicht zu einer seit 20 Jahren friedlichen Veranstaltung passt.

beweissichere Festnahme von Straftätern aus gewalttätigen oder gewaltbereiten Menschenmengen heraus

1000 Polizisten insgesamt, davon immer 100 zeitgleich auf dem Gelände – auch in zivil, BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit), Räumpanzer, Wasserwerfer – wer so aufmarschiert, rechnet damit, es einzusetzen. Auch wenn das Polizeipräsidium Neubrandenburg am Abend zurückrudert und keine Räumpanzer sowie Wasserwerfer mehr einplant, bleiben doch immer noch zweieinhalb Mal mehr Polizisten sowie eine BFE mehr als beispielsweise bei Wacken Open Air – zu dem auch noch mehr Besucher kommen. Man kann natürlich die Frage stellen, ob das Festival Festival trotz oder wegen der Abwesenheit staatlicher Kontrolle seit 20 Jahren friedlich verläuft, aber man sollte auf jeden Fall den geplanten Polizeiaufmarsch hinterfragen. Über die BFE schreibt die Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern:

Die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit ist eine spezialisierte Einsatzeinheit des Landesbereitschaftspolizeiamtes M-V. Sie ist spezialisiert auf die beweissichere Festnahme von Straftätern aus gewalttätigen oder gewaltbereiten Menschenmengen heraus und/oder von gewalttätigen Einzeltätern. Typische Einsatzbereiche sind Großveranstaltungen, bei denen Auseinandersetzungen zu erwarten sind.

Selbsterfüllende Prophezeiung

Der geplante Polizeieinsatz sorgt bereits im Vorfeld für Spannungen und heizt die Eskalation unnötig an – so ist eine Eskalation als selbsterfüllende Prophezeiung zu erwarten, weil man nicht mehr locker miteinander umgehen kann und es immer auch „von falscher Seite“ Solidarität (sprich Krawall) geben wird. Eine Veranstaltung, die unter solch einem Vorzeichen steht, sollte sicherheitshalber gar nicht erst stattfinden. Zumal auch das Polizeipräsidium Neubrandenburg per Twitter von der Durchführung eine[r] möglichst gefahrlose[n] Veranstaltung spricht.

Möglichst gefahrlose Veranstaltung

Diese Aussage des offiziellen Twitter-Accounts des Polizeipräsidiums Neubrandenburg ist entlarvend und steht für die Philosophie repressiver Sicherheitspolitik. Demnach sind staatskontrollfreie, freie, Räume per se unsichere Räume. Die meisten Kulturveranstaltungen zeigen, dass dem nicht so ist. Und denkt man das Mantra möglichst gefahrlose[r] Veranstaltung[en] weiter, kommt man zur größtmöglichen Gefahrenlosigkeit. Diese besteht zweifelsohne, wenn eine Veranstaltung gar nicht erst stattfindet.

Öffentliches Bild der Veranstaltung

Das Fusion Festival war bislang immer friedlich und sollte auf jeden Fall so in Erinnerung bleiben. Leider ist der Grundstein für eine vollkommen unnötige Eskalation in diesem Jahr bereits gelegt – und es besteht die Gefahr, dass die Veranstaltung mit dieser Erinnerung in Zukunft verbunden werden könnte. Daher ist es durchaus sinnvoll das Festival abzusagen und damit der Eskalation den Wind aus den Segeln zu nehmen. Für die Teilnehmer, Veranstalter und die Region ist das zwar ein großer Verlust, aber ein BFE-Einsatz ist jetzt auch kein großartiger Gewinn. Eine Absage bescherte 1000 Polizisten ein freies Wochenende – einzig der Polizeipräsident Nils Hoffmann-Ritterbusch müsste sich anderweitig profilieren.

Oder salopp ausgedrückt: Sollen die BFE mit ihren Räumpanzern doch alleine eskalieren gehen.

Vertrauensverlust

Als hinterließe die Kommunikation über die Einsatzszenarien nicht schon genug Fragen, werden dann noch weitere Aspekte bekannt, die das Vertrauen in die Polizei Neubrandenburg weiter untergraben. So meldet netzpolitik.org in Bezug auf den Artikel von ZEIT Online, dass im Zusammenhang mit einer Bachelorarbeit an der Polizeihochschule zum diesjährigen Fusion Festival personenbezogene Daten an einen einschlägig vorbelasteten Dozenten weitergegeben worden sind:

Pikanterweise ist der die Arbeit betreuende Polizeidozent Ulf-Theodor Claassen nicht nur ein ehemaliger AfD-Mann, sondern auch ein verurteilter rechter Gewalttäter. Er setzte im Jahr 2014 außer Dienst Pfefferspray gegen Konfetti werfende AfD-Gegner ein und wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 7.700 Euro verurteilt. Ehemalige AfD-Parteikollegen beschreiben Claassen als „hinterhältig“ und „skrupellos“, über ihn wurde bekannt, dass er ehemalige NPD-Aktivisten bei der AfD hofierte. Claassen war „in führender Position an den Sicherheitsmaßnahmen für den G8-Gipfel in Heiligendamm“ beteiligt und somit wie der Polizeipräsident Hoffmann-Ritterbusch zur gleichen Zeit in der Planung des Gipfels tätig. Die beiden dürften sich persönlich kennen.

Angesichts dessen brauchen sich die Sicherheitsbehörden nicht wundern, wenn politisch links eingestelltes Personal des Festivals wenig motiviert ist persönliche Daten vorab weiterzugeben. Der Vertrauensverlust ist real.