Nordhessische … „Pöbeln ist keine politische Meinungsäußerung“

„Pöbeln ist keine politische Meinungsäußerung“

Abstract

Fühlt sich der gemeine politische Mensch auf den Fuß getreten, beginnt der Diskurs. Manche Zeitgenossen legen dabei eine wahnwitzige Wortwahl an den Tag und disqualifizieren sich durch sinnentleertes Pöbeln. Im Wortgefecht um Meinungs- und Deutungshoheit steht das Durchsetzen der eigenen Sicht über andere, die vermeintlich „von der Linie abweichen“. Ein Kommentar von Robert Bienert zu manch „linker“ Lesermeinung auf Nordhessische.de, „liberalen“ Blogs und dreckigen Unterführungen.

„Wer nicht mit uns, ist gegen uns“ – Nachwirkungen eines Demoberichts

Der Kommentar über eine Demonstration gegen Rechts am 17. September hat hohe Wellen geschlagen, wüste Lesermeinungen, eine als Pressemitteilung bezeichnete Retour zweier GEW-Mitglieder und eine Antwort des Redaktionsleiters von Nordhessische.de hervorgerufen. Ähnliche Reaktionen folgten auch 2010 über einen Demo-Bericht. In beiden exemplarischen Fällen deutet vieles auf gewisse inhaltliche Erwartungen der Leser an die nun wirklich ehemalige Gewerkschaftszeitung und seit dem 1. Februar 2009 vom gemeinnützigen Verein Nordhessen Media als Projekt betriebene Zeitung. Dabei wird übersehen, wie bunt die Redaktion ist, welchen Lebenswelten die Autoren entstammen. So, wie von Nordhessische.de eine bestimmte „inhaltliche Ausrichtung“ erwartet wird, wird sie anderen Medien (bspw. HNA, FAZ, Spiegel) gerne vorgeworfen. Nur aber in den Redaktionen in erster Linie Menschen und keine „Parteisoldaten“.

Dazu treffen in den Leserkommentaren noch bestimmte, aber verschiedene Vorstellungen von „links“ sowie „antifaschistisch“ auf Vorurteile (u.a. reaktionär, israelfreundlich) gegenüber der kompletten Zeitung. Bloß gibt es keine „Redaktionslinie“, sondern jeder schreibt nach seiner Fasson. Sobald allerdings den Vorstellungen von der Zeitung („irgendwie links“, gewerkschaftsnah, …) nicht entsprochen wird, scheinen sich die Vorurteile zu bestätigen und der Ruf, die Redaktion, stellvertreten durch einen Redaktionsleiter, sei „auf Linie zu bringen“, wird laut. Die oben genannten Beispiele belegen dies ganz klar. Nur verkennt dies vollkommen die „bunte“ Redaktion und ihre Meinungspluralität und offenbart ein merkwürdiges Verständnis von Diskurs: notfalls muss die inhaltliche Einheit erzwungen werden. Einem George W. Bush hingegen mochte man nach 9/11 diese Einstellung, „wer nicht mit uns ist, ist gegen uns“ nicht zubilligen. Quod licet Iovi non licet bovi.

Der Ruf nach „Linie“ ertönt dabei teils pöbelnd, teils drohend, nur ist beides keine politische Meinungsäußerung, sondern ausschließlich Gepöbel und damit stillos. Es disqualifiziert den den Pöbelnden für den Diskurs. Da er manchmal auch noch glaubt, im Namen einer „guten Sache“ zu sprechen, kann die Sache schnell in den Augen Anderer diskreditiert werden.

Kann denn liberal Sünde sein?

Dem Blogger Christian Sickendieck von F!XMBR fällt auf, wie führende Mitglieder der Friedrich-Naumann- und der Thomas-Dehler-Stiftung in ihrer Freizeit vermeintlich „liberale“ Blogs mit Inhalten füllen, die anschließend auch auf den Webseiten der Stiftungen zu finden sind. Manch anderer Autor eines der Blogs hat Kontakte zu rassistischen Webseiten oder angeblich „freiheitlichen“ Parteien. Sickendiecks Anfrage zu den personellen Verquickungen gelangt an die Öffentlichkeit, der Blogger wird zur Zielscheibe von Gepöbel und Drohungen – in den sich selbst als „liberal“ bezeichnenden Blogs. Nur bleibt der dort vorherrschende Hasston gegen Nicht-Liberale oder gar „Gutmenschen“ nichts als sinnentleertes Pöbeln. „Liberal ist eine Stilfrage“, sagte der FDP-Generalsekretär Christian Lindner gestern der Frankfurter Rundschau. Mit Stil hat Pöbeln hingegen rein gar nichts gemeinsam. Daran ändert auch ein Möchtegern-Etikett nichts.

Schmierereien in der Unterführung sind ästhetisches Gepöbel

„… froh sein, dass wir nicht alles bekommen, was wir verdienen!“
„… wir sollten froh sein, dass wir nicht alles bekommen, was wir verdienen!“

Nach fast jedem Wochenende müssen die Stadtreiniger in der Unterführung am Holländischen Platz anrücken, um die Überreste der freien Tage zu beseitigen – Müll, Scherben, unverdaute oder verdaute Essensreste, Schmierereien, Plakate. Ein Teil dieser „Dekoration“ der Unterführung ist eine andere Form von Gepöbel: ästhetisches Gepöbel. Gerade die Schmierereien, ihre Art und Duktus, deuten auf eine vermeintliche „Abrechnung“ mit der Stadt hin, womöglich als Stellvertreterin des „kapitalistischen Schweinesystems“. Montag früh sind die Schmierereien mit Hochdruck und Sandstrahl wieder verschwunden, um am nächsten Wochenende in ähnlicher Form wieder an die Wand gebannt zu werden. Es ist ein regelmäßiger Machtkampf um die Gestaltungshoheit der Straße bzw. des Tunnels, der einigen Menschen eine Beschäftigung sichert – Schmierern und Stadtreinigern.

Nur wird die Rechnung mit der „Abrechnung“ nicht aufgehen: Dieser farblich-verbale Sondermüll schädigt „die Stadt“ oder „den Staat“ nur unerheblich, beeinträchtigt allerdings die Gesellschaft erheblich. Das sind nicht nur die Reinigungskosten, die letztlich von allen Menschen mit Steuern und Abgaben aufgebracht werden. Es ist psychologisch erwiesen, dass dreckige Umgebungen mehr Dreck und deutlich weniger Verantwortungsgefühl bzw. Courage bei den Passanten nach sich ziehen. Das Ergebnis ist ein subjektives Un-Sicherheitsgefühl. Diese Form des Pöbelns ist damit keineswegs politisch, sondern schlicht gegen die Gesellschaft gerichtet, also asozial.

Zudem bekommt wohl kaum ein Adressat der „Botschaften“ diese je zu lesen, sondern nur Passanten (die gesellschaftliche Mitte) und das Reinigungspersonal (werktätige Arbeiterklasse). Nur wird diese „Zielgruppe“ hierdurch abgeschreckt statt überzeugt. Folge kann das eigentliche „Anliegen“ sogar torpedieren, z.B. durch den Ruf nach stärkerer Überwachung. Die Mission ist durch vollkommen destruktives Handeln verfehlt, die Missionare haben sich selbst im politischen Diskurs disqualifiziert.