Kurzfilm-Rezension und -Kritik: Lichtspiele
Abstract
Kurz nach Mitternacht wurde am schon frühen Freitag Morgen das Kurzfilmprogramm »Lichtspiele« gezeigt. In sechs Teilen setzen sich Filmemacher mit dem Film und dem Kino auseinander – deshalb wurde diese Vorführung auch als „Programm für die Cineasten“ anmoderiert. Und trotz später Stunde kamen knapp 25 Zuschauer, darunter Nordhessische.de-Autor Robert Bienert, um „Filmschnipsel“ (»Seer's Catalogue«, »Strips« und »Great Man and Cinema«), großes Kino (»Glebs Film«) oder einen pseudowissenschaftlichen Pseudodokumentarfilm (»Capucine«) zu sehen.
Das Kurzfilmprogramm begann mit »Seer's Catalogue« von Dave Griffiths, einer aus vermutlich alten Filmensequenzen zusammengeschnitten Entstehungsgeschichte des Universums. Diese „Schnipsel“ sind nur wenige Sekunden(bruchteile) lang und werden, mit verstörender Musik untermalt, geloopt. Die englischsprachige Beschreibung der Handlung im Film ließ sich gut verstehen, das konkrete Geschehen dürfte für einen Nicht-Astrophysiker allerdings weniger verständlich gewesen sein. Der Einsatz von SS-Männern und filmischen Darstellungen der Seeschlachten erschließt sich allerdings kaum. Zum Glück bestand das Programm nicht aus sechs Filmen dieser Art.
Großes Kino: »Glebs Film«
Mein absolutes Highlight der Nacht war »Glebs Film«, eine Dokumentation von Christian Hornung. Er hatte per Zeitungsannonce Menschen mit Filmideen bzw. -geschichten im Kopf gesucht, um diese zu porträtieren und stieß dabei auf den Friseur Gleb Lenz. Basierend auf Personen im Umfeld seines Salons und Kunden denkt er sich einen Filmplot aus, den er seinen Kunden und Hornungs Kamera erzählt: Ein Friseur Gottlieb – und der Zuschauer durchschaut sehr schnell Gleb dahinter – bringt eine mit 148 bis 159 Kilogramm „leicht übergewichtige Dame“ Claudia und einen durch Afghanistan und den Tod seiner Mutter traumatisierten Polizisten Florian zusammen. Historisch seien Friseure im Mittelalter heimliche Kuppler gewesen, doziert Gleb. Claudia und Florian haben bis zum Tode ihrer jeweiligen Eltern bei ihnen gewohnt: Claudia mit 30, Florian sogar mit 48 Jahren.
Neben der witzigen Handlung Gelbs Filmplots sind auch die Reaktionen der „Jury“ in Form seiner Kundinnen und Kunden sehr interessant, wenn sie neue Szenen des Films erzählt bekommen – zwischen Dauerwelle und Waschen-Schneiden-Föhnen. Gegen Ende des Dokumentarfilms erfährt der Hamburg-Unkundige noch die Bedeutung des Stadtteil-Namens Altona: All zu nah – was durchaus auch ein passender Titel für Glebs Film wäre, weil alle drei Protagonisten sich im Grunde sehr nah sind, nur aneinander vorbei laufen.
Filmschnipsel über ein Kino
Antonia Carrara lässt uns in »La définition d'une chose en soi« von einem alten Herren, der durchaus an Peter Scholl-Latour erinnert, durch das ehemalige Kino Louxor Megatown. Erst mit einer nachträglichen Recherche erfährt man, dass das Kino in Paris steht. Setting des Dokumentarfilms und selbst Außenaufnahmen lassen stattdessen in der Tat eine Beheimatmung in Luxor vermuten. Leider war es nicht so einfach, dem englischen Untertitel zu folgen, vermutlich sind etliche Details über das Kino auch im Film genannt worden. Die Führung durch das Gebäude hinterlässt jedenfalls mehrfach Zweifel, ob der Zuschauer gerade wirklich ein Kino oder einen Tempel oder gar das Innere einer Pyramide zu sehen bekommt. Eine trotz Sprachbarriere spannende Geschichte.
Ein echter Streifen
Der Titel von Felix Dufours Schwarz-Weiß-Film »Strips« ist doppeldeutig: Das Bild sieht aus, als wäre es aus senkrechten Streifen zusammengeschnitten. Auf dem Bild zu sehen ist eine Stripshow, beginnend bei einer hübschen Dame im Kleid, die im Verlaufe des Kurzfilms irgendwann nur noch in Unterwäsche zu sehen ist. Durch das streifige Bild und Blenden ist sich der Zuschauer aber gar nicht sicher, was er gerade tatsächlich sieht oder nur hinter weiteren Filmstreifen vermutet. Ein einfach interessant anzusehender Film.
Propagandafilmschnipsel
Basierend auf TV-Berichten über Nordkoreas Diktator Kim Jong Il hat Jim Finn »Great Man and Cinema« zusammengeschnitten. Neben den Filmbeiträgen sind Szenen, die aus Animes oder Comics stammen könnten, einmontiert. Die Bedeutung dieses ebenfalls mit leicht verstörender Musik untermalten Werks soll vielleicht eine Parodie der Propagandafilme darstellen, klar geworden ist dies allerdings nicht.
Gute-Nacht-Geschichte:»Capucine«
Den Abschluss der Lichtspiel-Nacht machte Nietos »Capucine«. In pseudo-dokumentatorischer Art wird ein pseudo-wissenschaftliches Projekt über einen Affen als Filmregisseur vorgestellt. Die Handlung wird dominiert vom Streit zweier vermeintlicher Wissenschaftler der Universität Tokyo, die Versuche mit Affen unternehmen. Die Vermutung dahinter ist, dass die Tiere auch visuell kommunizieren können. Aufnahmen aus dem Labor und Freigelände zeigen diverse Affen als Schauspieler oder Kameramänner. Ein Tier, die Protagonistin Capucine, soll intelligent genug sein, selbst Regie für einen Kurzfilm zu übernehmen. Und in der Tat sieht der Zuschauer sie kurz darauf mit dem Lautsprecher auf dem Regiestuhl oder beim Schnitt an einem Touchscreen.
Im Verlaufe des Films produzieren die Wissenschaftler einen Kurzfilm, mit dem sie an einem französischen Wettbewerb teilnehmen und zumindest hier verschwimmt die Grenze zwischen Fakt und Fiktion: Was ist Capucines, was Nietos Werk? Nicht nur durch den Zusammenschnitt des Tieres, sondern auch das gegenseitige Filmen der Affen an einer Steinsäule, werden viele Filmzitate, vor allem aus Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ offenbar. Auch wenn vermutlich der komplette Film keine Dokumentation, sondern eine Art Trickfilm ist, wie im Anschluss an die Vorführung zu erfahren war, stellte es doch eine schöne Gute-Nacht-Geschichte dar.