Nordhessische … Interview: Lokalzeitung in Konkurrenz zu Lokalpolitik

Interview: Lokalzeitung in Konkurrenz zu Lokalpolitik

Abstract

Kassel (rb) – Der Oberbürgermeisterkandidat der Kassler Linke.ASG Kai Boeddinghaus hat sich gestern in einem offenen Brief an die Lokalzeitung HNA gewandt. Er kritisiert darin die Berichterstattung über politische Themen. Im Interview mit Nordhessische.de erläutert er, wie die Zeitung seiner Meinung nach im lokalpolitischen Geschehen mitmischt.

Sie schreiben, „die HNA [ist] immer noch die HNA mit den gleichen manchmal schlimmeren Symptomen unserer Presselandschaft“, aber gleichzeitig legen sie sich scheinbar mit der Zeitung an. Sehen sie nicht Gefahr, dass die Zeitung ihr politisches Engagement in Zukunft ignorieren könnte?

Wenn ich aus Furcht vor einer möglicherweise „schlechteren“ Berichterstattung ggf. nicht offen Kritik übe, mache ich letztendlich nichts anderes als die, die ich kritisiere. Dass der Poltikbetrieb i.d.R. so funktioniert, nehme ich zur Kenntnis. Aber mein politisches Engagement hat nicht zum Ziel, sich in diesen Betrieb einzufädeln. Mit der HNA habe ich mich zu Beginn der Wahlperiode noch viel entschiedener „angelegt“. Und da gilt für mich persönlich das, was auch für die LINKE gilt. Politischen Erfolg haben wir gelegentlich nicht wegen sondern trotz der Presse und je weiniger wir uns von dieser Presse abhängig machen, desto näher bleiben wir an den Themen.

HNA ist politischer geworden

Inwiefern ist in ihren Augen die HNA wieder politischer geworden? Woran machen sie dies fest?

Es gibt aus meiner Sicht, deutlich mehr Artikel zu kommunalpolitischen Themen, die – Beispiel Pauschalierung der Sozialleitstungen – auch über einen längeren Zeitraum recherchiert und immer wieder aufgegriffen wurden. Insgesamt weniger Tibor-Pesza-erklärt-Euch-die-Welt-Kommentare und mehr Berichte. Dabei beobachte ich, trotz oder wegen, der auch in der Vergangenheit deutlich geäußerten Kritik auch eine größere Ausgewogenheit gerade im Hinblick auf die Kasseler Linke.

Lokalzeitungen in Konkurrenz zur Lokalpolitik

Glauben sie, dass die HNA lokales (politisches) Engagement ignoriert um ihr eigenes Engagement vermarkten zu können?

Das glaube ich in der Tat. Die HNA muss/will sich verkaufen. Und da steht sie in Konkurrenz. Das ist nichts Kasseltypisches. In anderen Gegenden heißen die Zeitungen „Stimme“ oder „Volksstimme“ oder „Volksfreund“. Die Lokalzeitung will also der Vertrauenspartner der Bevölkerung sein, wenn sie sich erfolgreich verkaufen will. Da steht sie in natürlicher Konkurrenz zur Poltik, die ja exakt um den selben Pokal kämpft.

„Die HNA macht Politik in Nordhessen“

Einige Menschen in Nordhessen unterstellen der Zeitung, selbst Politik zu machen. Wie sehen sie das als Politiker?

Ich bin soviel und sowenig Poltiker wie andere engagierte und interessierte Menschen auch. Unabhängig von der Frage, ob dieses Engagement ehrenamtlich (wie in meinem Fall) oder hauptamtlich (wie im Falle z.B. von Medienvertretern) agieren wir letztendlich alle politisch. Selbst oder gerade eine völlig unpolitische Haltung wirkt ja gesellschaftlich hochpolitisch. Wenn dann also die HNA nur mächtig um ihr Profil als „Volksfreund“ ringt, selbst wenn es dabei keine weiteren Ambitionen gäbe, wirkt dies sehr politisch. Wenn sie darüber hinaus – und die Rollen von Berichterstattung, Volksfreund mischen sich fröhlich – gelegentlich kräftig für oder gegen das eine oder andere Projekt ordentlich Stimmung macht, dann macht sie Politik.

Klar ist für mich aber, dass dieses Mitmischen unter der neuen Leitung der Lokalredaktion sehr, sehr zurückgefahren worden ist. Da scheint mir zumindest ein deutliches Problembewußtsein hinsichtlich dieser Rollenproblematik zu geben. Auflösen lässt sich das dennoch natürlich nicht.

Gesellschaft versagt im Sozialen

Wie bewerten sie den Umstand, dass Fahrtkosten zur Schule nur bis zur Mittelstufe übernommen werden?

Tja, wie doof darf eine Gesellschaft eigentlich sein? Wir reden in Deutschland über unsere Standortproblematik wegen des hohen Lohnniveaus. Hohe Löhne sind bei hoher Effizienz und hochqualifizierten Produkten und Dienstleistungen aber kein Problem. Dafür brauchen wir also gut ausgebildete Menschen. Wir schaffen es noch nicht einmal, alle in die Schulen zu bringen. Das ist schlicht erbärmlich. Was das an Ausdruck von sozialer Kompetenz einer Gesellschaft bedeutet, so mit auf Hilfe angewiesene Menschen unzugehen, bedeutet, lässt sich kaum noch mit druckreifen Worten wiedergeben. Wichtig ist mir, dass das kein Einzelfall ist. Das System von Hartz IV ist menschenverachtend und es wird auf lokaler Ebene in Kassel genauso bis heute praktiziert.