Nordhessische … Analyse: Private Zusatzversicherungen sind ineffizient

Analyse: Private Zusatzversicherungen sind ineffizient

Abstract

Im Glauben an die „Effizienz der Märkte“ lassen sich bestimmte Lebensrisiken oder -situationen wie Berufsunfähigkeit, Rente oder Zahnersatz nur noch zum Teil oder gar nicht mehr mit öffentlichen/staatlichen Versicherungen absichern. Eigeninitiative ist angesagt, d.h. ein weiterer Teil vom Netto muss für eigentliche Brutto-Leistungen herangezogen werden. Vom Wesen her sind diese privaten Zusatzversicherungen allerdings ineffizient und fördern eine Umverteilung von der Gesellschaft zu Besserverdienenden. Von Robert Bienert

Private Zusatzversicherungen: Risiko-Unterdeckung durch staatlichen Rückzug

Indem der Gesetzgeber den Rentenanteil auf 22 Prozent gedeckelt hat, ergibt sich bei steigender Lebenserwartung und den demografischen Wandel eine „Versorgungslücke“, wie es in der Sprache der Versicherungswirtschaft heißt. Damit der Arbeiter von heute als Rentner von morgen dennoch ein Auskommen hat, wurde die Riester-Rente geschaffen, eine staatlich bezuschusste und steuerbegünstigte private Rente. Der Unterschied zur gesetzlichen Rente: Vom Brutto-Lohn muss ausschließlich der Arbeitnehmer vier Prozent ansparen, um die volle staatliche Förderung zu erhalten. Einen Arbeitgeber-Anteil gibt es nicht, die eigene Sparsumme mindert daher das verfügbare Netto-Einkommen.

Das Risiko, berufsunfähig zu werden, muss ein großer Teil der heutigen Erwerbstätigen ebenfalls privat absichern, vom Staat gibt es im Zweifels bzw. Versicherungsfall in der Regel nur noch die nun „Grundsicherung“ genannte ehemalige „Sozialhilfe“. Überspitzt ausgedrückt bedeutet dies, dass sich Leistung eben gerade nicht lohnt. Denn wer mit großem Einsatz und Risiko den Mehrwert unserer Volkswirtschaft generiert, läuft schneller Gefahr, frühzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden zu müssen. Ohne private Absicherung verläuft also der soziale Abstieg des „Mehrleisters“ umso schneller.

„Mehr Netto vom Brutto“ für die Versicherungswirtschaft

Private Zusatzversicherungen bedeuten, dass „mehr Netto vom Brutto“ für die Absicherung von Lebensrisiken und -abend ausgegeben werden muss. Alle dadurch entstehenden zusätzlichen Ausgaben trägt allein der Arbeitnehmer, es gibt keinen Arbeitgeberanteil. Da die Zusatzversicherungen nicht verpflichtend sind, werden sie auch nicht vom Bruttolohn abgezogen, wie gesetzliche Krankenkasse, Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge. Stattdessen muss der Arbeitnehmer einen Teil seines Netto-Einkommens dafür aufwenden. Die Riester-Rente bezieht sich aber gerade auf das Brutto-Einkommen. Ungünstig sind daher hohe monatliche Kosten, die den Spielraum des tatsächlich frei verfügbaren Einkommens deutlich einschränken, so dass von einem hohen Brutto- und Netto-Einkommen nicht viel übrig bleibt.

Im Gegensatz zu öffentlichen Versicherungen wie gesetzlichen Krankenkassen oder den staatlichen Rentenkassen entstehen den Versicherten bei privaten Unternehmen Kosten für die Verwaltung seines Vertrags, die u. a. die Provisionen für den Versicherungsvertreter beinhalten. Zudem sind viele Versicherer Aktiengesellschaften, die auch das Interesse der Aktionäre nach Dividende bedienen müssen. (Private) Unternehmen, die zum Jahresende hingegen eine „schwarze Null“ in ihrer Bilanz anpeilen, sind in einer Marktwirtschaft bislang unbekannt.

Die Versicherungswirtschaft profitiert außerdem von einer guten Risiko-Abschätzung. Damit es im Versicherungsfall nicht zu einer Unterdeckung kommt, müssen die Versicherer entsprechend großzügig kalkulieren. Im Fall der Berufsunfähigkeitsversicherung wäre dies gegeben, wenn der Versicherte direkt nach Vertragsabschluss berufsunfähig würde. Bei einer Rentenversicherung kommt es zur Unterdeckung, falls der Versicherte länger als kalkuliert lebt und damit sein angespartes Vermögen eigentlich aufgebraucht wäre. Um sich gegen solche „Risiken“ abzusichern, sind die Versicherungsbeiträge prinzipiell leicht erhöht, so dass Überschüsse entstehen. Diese „Überdeckung“ wird allerdings nur zu einem Teil an die Versicherten weitergegeben, der Rest speist den Gewinn des Versicherungsunternehmens.

Überschüsse bei den öffentlichen Versicherungen, die nach dem Solidarprinzip funktionieren, werden hingegen direkt an die anderen Versicherten weitergegeben. Im Falle einer Unterdeckung fallen durch das Solidarprinzip die Beitragssteigerungen für alle moderat aus, während in privaten Versicherungsverträgen möglicherweise höhere Beiträge ausgeschlossen sind. Wenn dann auf Grund höherer Beiträge oder Kosten keine Neukunden hinzukommen, schlittert der Versicherer in die Insolvenz. Welchen Wert der Versicherungsvertrag dann noch hat, steht in den Sternen.

„Den letzten beißen die Hunde“

Wie bei privaten Krankenversicherungen können auch die geförderten privaten Zusatzversicherungen wie Rente oder Berufsunfähigkeit aktuell nur so günstige Konditionen bieten, weil sich nur ein Teil der Arbeitnehmer versichert oder gar versichern kann. Das unternehmerische Risiko der Versicherer bildet also nicht die Versicherungs-Risiken in der Gesellschaft ab, es treten weniger Versicherungsfälle auf. Wenn sich nun allerdings immer mehr Bürger absichern, wird der Versicherungsfall wahrscheinlicher, d. h. die Beiträge müssen zur Vermeidung von Unterdeckung steigen, Überschüsse fallen geringer aus. Folgten nun alle Bürger der Werbung von Versicherern und Politik und sicherten ihre Lebensrisiken ab, müssten die Versicherer mit der gesamtgesellschaftlichen Wahrscheinlichkeit für den Versicherungsfall kalkulieren. Im Gegensatz zu einer öffentlichen Versicherung wäre diese dann auf Grund von Verwaltungskosten und Unternehmensgewinn allerdings prinzipiell teurer für die Versicherten. Da die Risiken mit der Kundenzahl zunehmen, werden die Konditionen der Policen schrittweise ungünstiger, d. h. je später man sich versichert, desto ungünstiger der Vertrag.

Umverteilung „nach oben“

Zur Förderung privater Zusatzversicherungen können die Beiträge dazu steuerlich geltend gemacht werden. Der Staat versucht also, einen Ausgleich für das „mehr Netto vom Brutto“ zu schaffen. Doch diese Steuerbegünstigung zahlen alle Bürger, während nur die Versicherten davon profitieren. Da sich in der Realität eher Besserverdienende zusätzlich privat absichern, resultiert aus diesem Anreiz in der Tat eine Umverteilung aus der Gesellschaft „nach oben“. Statt Durchlässigkeit werden so gesellschaftliche Status zementiert.