Nordhessische … Politischer 36C3-Rückblick

Abstract

Während die letzten Winterstürme durchs Land ziehen, ist es Zeit bei einem Heißgetränk und Keksen Beiträge des 36. Chaos Communication Congress' (36C3) zu politischen Themen nachzuschauen: Neben Datenschutz wurde viel über rechtes Gedankengut und Rassismus diskutiert. Dabei offenbaren sich interessante Zusammenhänge, Kontinuitäten und Parallelitäten in der rechten Szene und im rechten Diskurs.

Rechte Sprache – nicht nur im Internet

Die folgende Auflistung ist absichtlich geordnet um einen „Fahrplan“ zu skizzieren, in welcher Reihenfolge die Vorträge sinnvoll betrachtet werden können.

  1. In die Historie blickt Bianca Kastls Vortrag über Verbrannte Wörter – Sprache des Nationalsozialismus. Es bietet sich an auf einige der hier gehörten Termini in den beiden folgenden Vorträgen zu achten.
  2. Michael Kreils Vortrag Von Menschen radikalisiert: Über Rassismus im Internet beschäftigt sich mit Alltagsrassismus – nicht nur im Internet – und über Jahrzehnte. Der Vortrag erklärt u. a. die Folgen eines rassistisch geprägten Narrativs, was auf den folgenden Vortrag von josch weiterleitet. Interessante Punkte:
    • Menschen mit rassistischen Ängsten sind nicht zwingend Nazis, d. h. die Bezeichnung als Nazis schließt sie aus.
    • Menschen mit rassistischen Ängsten zeigen kognitive Dissonanz, d. h. sie handeln entgegen ihrer eigenen Werte.
    • Die AfD bildet für Menschen mit rassistischen Ängsten eine gute Symbiose aus Konservativismus und Rassismus.
    Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Rolle der Medien, die sich zum Geldverdienen und auf der Jagd nach Klicks zum Gehilfen von Terroristen und Populisten macht. Die Frage, inwiefern z. B. Fernsehtalkshows dem Aufstieg der AfD Vorschub geleistet haben, wird ja seit längerem diskutiert. Diese Frage ist insofern wichtig, weil es natürlich nicht nur Radikalisierung im Internet, sondern auch in der Stammkneipe, und damit in unserer Öffentlichkeit, gibt.
  3. josch „liest“ Aus dem Schimpfwörterbuch der neuen Rechten und zeigt viele Beispiele aus dem Fundus herabwürdigender und ausgrenzender Ausdrücke, die in rechten und rechtsextremen Onlinediskursen geprägt wurden. Dieser Fundus wird linguistisch und mathematisch untersucht – mit zum Teil interessanten Erkenntnissen: Nirgendwo wird konsequenter gegendert als bei den neuen Rechten. Zum Schluss stellt jemand aus dem Publikum noch eine interessante Frage: Wo bleibt eigentlich bei den neuen Rechten das Positive?
  4. Marie Rodewald stellt die Frage Rechter Feminismus in der 'Identitären Bewegung' ? How to red pill a woman und zeigt auf, wie aus der Identitären Bewegung (IB) Antifeminismus als feministisch vorgegaukelt wird. Dazu erklärt sie sehr gut, wie die IB inhaltlich und in der Außendarstellung aufgestellt ist. Frauen werden dabei als von außen gefährdete Subjekte dargestellt, die von „starken Männern“ beschützt werden sollen. Ein zentrales Anliegen von Feminismus ist hingegen gerade Empowerment, d. h. die starke, selbstständige und unabhängige Frau. Das identäre Weltbild ist also in den 1950ern stecken geblieben.
In der polnischen Hauptstadt Warszawa ist der Verlauf der Mauer zum Warschauer Ghetto durch eine in den Boden eingelassene Pflastersteinreihe kenntlich gemacht.

Rechter Terror – nicht nur in Deutschland

Zu diesem Thema gab es beim 36C3 ebenfalls mehrere Vorträge, die Themen wie den nicht aufgeklärten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) oder die „Hannibal-Affäre“. Anstelle eines „Fahrplans“ ließe sich hier eher eine „Klammer“ um die drei Videos machen.

„Einzelfälle“ von „Einzeltätern“

Als Beginn bietet sich Caro Kellers Vortrag über "Unvorstellbare Einzelfälle" und "neue Phänomene"? - Kontinuitäten des rechten Terrors an. Roter Faden der „Einzelfälle“ ist das Bild von maximal drei völlig isolierten „Einzeltätern“ – wobei laut aktueller Folge Die Anstalt maximal zwei Täter für die Sicherheitsbehörden und die Politik „einfacher“ zu handhaben sind, denn ab drei Tätern könnte es sich um eine kriminelle oder terroristische Vereinigung handeln (siehe auch Die Anstalt Faktencheck). Der erste Vortrag beleuchtet die Historie rechten Terrors im In- und Ausland und verweist indirekt auf die rechte Sprache (siehe oben), die sich auch in den Manifesten der Terroristen wiederfindet. Dem Narrativ „wir hätten nichts wissen können“ widerspricht Caro Keller und verweist auf frühere und aktuelle rechte Netzwerke sowie die Kontinuität der Verwicklung von Geheimdiensten in rechten Terror.

Jahresrückblick

Von Caro Keller ist außerdem Der NSU-Watch Jahresrückblick 2019 – NSU-Watch: Aufklären & Einmischen auf ein von rechtem Terror geprägte[n] Jahr. Die Gesprächsrunde folgt zeitlich auf den vorher verlinkten Vortrag und verweist wiederum auf den nächsten weiter unten vorgestellten. Ein wichtiger Punkt hierbei – gerade auch für Kassel (→ Mord an Halit Yozgat) – ist das Thematisieren des Urteils im NSU-Prozess und wie die Angehörigen der Opfer darauf reagieren: (Nicht nur) Für sie sind die Taten trotz eines Urteils immer noch nicht abschließend aufgeklärt und der Vertrauensverlust in den deutschen Rechtsstaat ist im Zweifelsfall noch gewachsen. Halits Vater Ismail Yozgat hat immer wieder betont, wie sehr der Umgang mit der NSU-Mordserie seine Heimat Deutschland erschüttert hat. Dass es nun eine bislang nicht aufgeklärte Kontinuität zwischen dem (Kasseler) NSU-Terror und der Ermordnung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gibt, ist dann „nur“ noch die nächste „Merkwürdigkeit“ im Umgang mit rechtem Terror in Hessen – wo das Landesamt für „Verfassungsschutz“ NSU-Akten für 120 Jahren sperrt.

Ein weiterer spannender Punkt ist die Information, dass der NSU beim Anschlag in der Kölner Keupstraße sowie der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan Ernst ungefähr zu gleichen Zeit mit den gleichen Bombenkonzepten hantiert haben sollen. Historisch reichen solche Konzepte bis in die 1980ern (u. a. die Deutsche Aktionsgruppen).

Hannibal

Sebastian Erb und Daniel Schulz von der taz ziehen Eine erste Bilanz über Die Affäre Hannibal, die bereits zuvor angesprochen worden ist. „Hannibal“ ist ein Soldat des Bundeswehr Kommando Spezialkräfte (KSK) und Initiator eines Netzwerks, zu dem teilweise auch Mitglieder des aktuellen Verfassungsschutz-Prüffalls Uniter gehören. (Der Wikipedia-Artikel hält übrigens eine weitere Kontinuität im rechten Umfeld bereit:

Vorstandsvorsitzender wurde Ringo M., damals Mitarbeiter im Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg. […]

Ringo M. war von 2005 bis 2007 der Vorgesetzte der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter. Sie soll sich mehrfach über ihn beschwert haben. Am 25. April 2007 wurde sie beim Polizistenmord von Heilbronn getötet. […]

Ringo M. gehörte von 2005 bis 2014 zur rund 50-köpfigen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) 523 der Bereitschaftspolizei in Böblingen. Deren Leiter war der ausgebildete Präzisionsschütze Thomas B. Zu der Einheit gehörte ein früheres Ku-Klux-Klan-Mitglied mit Kontakten zum Umfeld des NSU. […] Ein weiterer früherer BFE-Ausbilder wurde Bundestagsabgeordneter der AfD.

Der vorletzte Satz ist interessant, da direkte Kollegen Kiesewetters ebenfalls beim Ku-Klux-Klan aktiv waren. Und der genannte MdB sitzt im Innenausschuss des Bundestages, wo u. a. über Uniter beraten wird.

Die beiden taz-Journalisten weisen darauf hin, dass sich etliche Akteure im der Affäre Hannibal innerhalb sehr kurzer Zeit nach 2015 radikalisert haben sollen. 2015 war auch das Jahr, in dem Stephan Ernst bei einer Bürgerversammlung im nordhessischen Lohfelden aufgefallen ist.

Ein weiterer Punkt aus der Diskussion zu Ende des Vortrags weist auf das „Nichts-Sehen“ von „Einzelfällen“ hin, das bereits oben thematisiert worden ist. Im Fall Hannibal kommt dazu, dass die Erkenntnislage zwischen so genannten „Preppern“ und tatsächlichen „Gefährdern“ diffus ist – der Vortrag versucht hier Licht ins Dunkle zu bringen und das Thema wird auch in Zukunft wichtig sein.