Fakten zum Tramverkehr in der Kasseler Königsstraße
Abstract
Wieder einmal diskutiert Kassel über die Straßenbahn in der Königsstraße. Im Laufe der Jahre hat sich an den Argumenten der Tramgegner nicht viel geändert: Die Tram „störe“ einfach, die Königsstraße ist eine Fußgängerzone, man könne nicht „ungestört flanieren“, die Sicherheit der Passanten sei beeinträchtigt. Dieser Artikel setzt sich mit den genannten Argumenten auseinander und liefert Gründe für die Beibehaltung des Straßenbahnverkehrs in der Königsstraße.
Anzahl an Fahrbewegungen und dadurch „belegter Raum“
In der aktuellen Diskussion – flankiert von einer Kampagne zu einem Bürgerbegehren – wird u. a. mit knapp 1000 Fahrbewegungen pro Tag argumentiert. Diese Zahl klingt für eine Fußgängerzone erst einmal „erschreckend groß“. An anderer Stelle taucht die niedrigere Zahl von 788 Fahrten auf. Da die Königsstraße die Haupteinkaufsstraße in Kassel ist, lohnt sich ein differenzierter Blick auf die Anzahl an Fahrbewegungen (OpenDocument-Tabelle) innerhalb und außerhalb der Geschäftszeiten. Als Datenbasis dient der NVV-Fahrplan 2015. Unter Berücksichtigung auch des RegioTram-Verkehrs ergeben sich an Werktagen tatsächlich 950 Fahrten, samstags 728 und sonntags 510 Fahrten von Trams durch die Königsstraße. Davon finden allerdings mit werktags 611 und samstags 489 lediglich zwei Drittel aller Fahrten während der Geschäftszeiten statt. Zudem ist der Fahrplan samstags ab 16 Uhr, also zu einer der „Hauptflanierzeiten“, mit nur noch 30 statt 56 Fahrten pro Stunde deutlich ausgedünnt, zumal im Wochenendverkehr diese Fahrten gebündelt zu vier Zeiten die Stunde stattfinden (Anschluss- bzw. Taktknoten am Königsplatz zu den Minuten :00, :15, :30 und :45).
Um es auf den Punkt zu bringen: Werktags fahren zwar „recht viele“ Trams durch die Königsstraße, allerdings gibt es „wenig Shopper/Flaneure“, während es am Wochenende genau umgekehrt ist: wenig Fahrten, aber „viele Flaneure“ (vor allem sonntags). Dieses Potenzial wird aktuell schon wenig bis gar nicht von Gastronomie genutzt, die Königsstraße ist hauptsächlich eine Einkaufsstraße; Platz und Gäste wären genug vorhanden. Außerhalb der Geschäftszeiten – werktags vor 9 und nach 20 Uhr – ist „tote Hose“.
Ein weiterer Punkt ist die scheinbare „Wand an Straßenbahnen“, mit denen sich einige Menschen konfrontiert sehen, weil sie wenige Sekunden auf die Vorbeifahrt einer Tram (ggf. sogar Doppeltraktion) warten müssen. Diese Wartezeit lässt sich recht genau beziffern: Es sind zwischen 5 und 6 Sekunden bei einer einfachen Bahn und entsprechend 10 bis 12 Sekunden bei einer Doppeltraktion. Grundlage dieser Abschätzung sind die für Trams geltende Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h sowie die Länge der Straßenbahnen von 30 Metern bzw. 37 Metern bei RegioTrams. (Das bedeutet, dass in einer werktäglichen Stunde ein Meter Gleis im Schnitt 56 × 6 Sekunden, also etwa fünfeinhalb Minuten belegt ist und die restlichen 90 Prozent der Stunde den Fußgängern gehört.)
„Gastronomie“ für Pendler – Cafés, Bäckereien und Kioske
Entlang der Haupteinkaufsstraße und Stammstrecke für die Tram gibt es einige Cafés, Bäckereien und Kioske, die außerhalb der Geschäftszeiten ein entsprechendes Angebot für Pendler führen. Entlang der „Umleitungsstrecke“ über den Scheidemannplatz findet sich hingegen nicht viel für Pendler. Durch die Belegung der Gebäude mit Büros ist auch ein Umzug von „Gastronomie“ kaum möglich, während ein Verschwinden der Pendlerströme aus der Königsstraße den dort ansässigen Angeboten die Nachfrage entzieht.
Zudem ist auf Grund der Verkehrsführung keine großartige Laufkundschaft zu erwarten: Während in der Königsstraße die Gleise integriert im Verkehrsraum verlaufen und die Haltestellen von allen Seiten zugänglich sind (abzüglich der maximal 56 Fahrten pro Stunde), liegen die Haltestellen am Ständeplatz/Scheidemannplatz/Lutherplatz in der Straßenmitte an einem eigenen Bahnkörper. Diese Haltestellen sind auf Grund des starken PKW-Verkehrs (deutlich mehr als 56 pro Stunde) nur über Fußgängerampeln zugänglich.
Auswirkungen auf den ÖPNV
Die aktuellen Befürworter einer tramfreien Königsstraße argumentieren auch mit geringen Kosten für die KVG, die eine Verlegung mit sich brächte. Geschätzt seien die Fahrplanänderungen mit einmaligen Ausgaben von 50000 €
verbunden. Dabei wird allerdings unterstellt, dass lediglich die Trams dauerhaft umgeleitet würden, es keinerlei Nachfragerückgang im ÖPNV gäbe, keine zusätzlichen Tramfahrten entstünden und die bestehende Haltestellen-Infrastruktur beibehalten werden könnte.
Fahrplan
Wie sich die Fahrzeitverlängerung von einigen Minuten auf die Nachfrage der Linien 1,3,5 und 6 auswirkt, kann hier nur spekuliert werden. Fakt ist allerdings, dass im Nachlauf außerhalb der Innenstadt auch die Fahrpläne anderer Buslinien angepasst werden müssten um weiterhin Anschlüsse bieten zu können. Ob dies mit lediglich 50000 € zu bekommen ist, ist fraglich. Denn auf Grund der Fahrzeitverlängerung kann es zu geänderten Fahrzeugumläufen kommen, wodurch mehr Busse, Trams und damit Personal benötigt werden.
Dass eine Sperrung der Königsstraße für den Tramverkehr definitiv einen Mehraufwand an Fahrzeugen und Personal bedeutet, lässt sich jetzt schon an Hand der Linienführung der Zusatzverkehre der Linie 5E „Rushhour“ sowie den Linien 1E und 3E zu den Wasserspielen im Bergpark Wilhelmshöhe ableiten. Diese Linien nutzen nämlich den Innenstadtring als Wendeschleife. Bei nur noch einer einzigen Tramstrecke in der Innenstadt müssten diese Linien in Richtung Norden (d. h. bis zur Holländischen Straße oder Ihringshäuser Straße) oder Osten (zum Betriebshof Sandershäuser Straße) geführt werden. Da die Fahrt dort hin eine gewisse Fahrzeit dauert, ergibt sich aus dem Fahrplan direkt der Mehrbedarf an Fahrten.
Die Wendeschleife hinter dem Polizeipräsidium wäre zudem für Umleiter nur noch aus Richtung Norden und Osten erreichbar, da am Lutherplatz kein Abzweig aus der Rudolf-Schwander-Straße existiert. Eine weitere Wendemöglichkeit in der Innenstadt – der Gleiswechsel am Königsplatz – fiele außerdem weg; diese Möglichkeit wird im aktuellen Fahrplan in der Schwachverkehrszeit von der Linie 5 und zum Teil von der Linie 3E genutzt. Die Folge wäre wiederum ein Fahrzeugmehraufwand.
Notwendige Umbauten von Haltestellen
Wie bereits jetzt schon bei Umleitungen zu Veranstaltungen zu erkennen ist, sind nicht alle Haltestellen entlang der Umleitungsstrecke dem Andrang gewappnet. Die Haltestelleninseln Am Stern stadtauswärts sowie Rathaus/Fünffensterstraße werden bei Bedarf durch Sperrung des Straßenraums für die Fahrgäste vergrößert. Zudem wird vermutlich auch die Schaltung der Fußgängerampeln dem Passantenandrang angepasst. Diese Einschränkung anderer Verkehrsteilnehmer müsste bei der Verbannung der Tram aus der Königsstraße mit baulichem Aufwand dauerhaft realisiert werden. Auf deutsch: Das kostet mehr als 50000 €.
Zugänglichkeit öffentlicher Einrichtungen südlich der Innenstadt
Die Straßenbahn erschließt in der Königsstraße nicht nur die Geschäftswelt der Innenstadt, sondern auch einige öffentliche Einrichtungen südlich davon: Fridericianum, documenta Halle, Dock4, Theater (Staatstheater und tif), Gerichte, um nur einige zu nennen. Der Zugang zu diesen Einrichtungen würde bei einer Verlegung zum Scheidemannplatz deutlich verschlechtert, vor allem für mobilitätseingeschränkte Menschen. Neben der Verlängerung des Weges ist auch ein beträchtlicher Höhenunterschied zu bewältigen. Die ÖPNV-Anbindung ist ohne zusätzlichen Busverkehr entlang des Steinwegs (was wiederum zusätzliche Kosten nach sich zieht) auf Grund der einseitigen „Verschiebung“ des Verkehrsstrom nur noch unterdurchschnittlich.