Nordhessische … Film-Rezension: Suicide Club

Film-Rezension: Suicide Club

Abstract

Ziemlich hochgejubelt und schließlich mit dem „Goldenen Herkules“ prämiert wurde Olaf Saumers „No-Budget-Produktion“ (Kosten 40.000 Euro) »Suicide Club«. Im Mittelpunkt des Schauspiels stehen fünf Kasseler, die beschließen gemeinsam von einem Hochhausdach in den Tod zu springen. Durch etliche Umstände kommt alles anders als gedacht und am Ende des Films leben alle fünf. Robert Bienert hat den Film gesehen.

Bereits im Blog wurde „einiges für die Rezension“ angekündigt – die Rezension des dritten Films an diesem Samstag. Trotz „zeitiger Ankunft“ im gemütlichen Gloria gab es noch einen Kinosessel in der vorletzten Reihe und kein Riese davor. Wer später kam oder nicht mit so viel Glück durch die Schlange zur Kasse diffundieren konnte, musste weiter vorne und am Rand sitzen. Aber viel spannender ist die Frage, ob sich dieser Aufwand überhaupt gelohnt hat?

„Es könnte alles so einfach sein …“

„… ist es aber nicht“, sangen die Fantastischen Vier einmal und die fünf Protagonisten des Films merken dies innerhalb der ersten fünf Filmminuten. Jeder macht sich im noch verschlafenen Kassel auf den Weg zum gemeinsamen Treffpunkt. Staubsauger-Vertreter (die Berufe werden erst später im Film thematisiert) Lothar fährt mit dem Auto unter die Brücke der Dresdner Straße und steigt aus, Kellnerin Silvi setzt ihre Katze vermutlich in der Nordstadt ab, Banker Mark skatet durch die Straßen, Schüler Fabian verlässt sein gut behütetes Haus in einer älteren Einfamilienhaus-Gegend in Kassel und Sekretärin Gisela. An dieser Stelle fällt dem Kasseler die erste Ungereimtheit auf: Obwohl alle an verschiedenen Orten nach oben schauen, stehen sie im nächsten Augenblick auf dem Dach eines Hochhauses in der Heinrich-Plett-Straße im Stadtteil Brückenhof. Lothar hat scheinbar alles organisiert, schmeißt zur Sicherheit den Türschlüssel vom Hochhaus. Und schon stehen die Suizidenten am Rand des Hochhauses, 16 bis 20 Stockwerke über der Straße und „springen gemeinsam auf 3“. Hier wäre der Film schon zu Ende, käme nicht ein Zeitungsmädchen vorbei, gefolgt von der Müllabfuhr, und dann erwacht Kassel mit einem eindrucksvollen Sonnenaufgang über dem Baunataler Baunsberg, es wimmelt vor Menschen.

Nachdem Lothar und der Zuschauer in der Eröffnungssequenz bereits im Radio erfahren haben, dass „heute der heißeste Tag des Jahres, gefolgt von einem heftigen Sommergewitter, ist das zu glauben?“ ist, wird schnell klar, dass noch rund 90 Minuten mit Handlung zu füllen sind. Unklar ist allerdings, vor was die fünf Selbstmörder Courage oder Angst haben, als sie die Menschen unter sich vorbeiziehen lassen: Wären sie rechtzeitig gesprungen, hätte sie (bzw. die Überreste) schließlich auch jemand gefunden.

„Erstens kommt es anders und zweitens als du gedacht hast“

Frei nach Such a Surge vertagen sie den Sprung in den Tod auf den späten Abend, wenn die Stadt wieder schläft. An dieser Stelle muss sich Lothar wegen der Entsorgung des Schlüssels erste Vorwürfe der anderen anhören und es wird eine Inkonsequenz in ihrem Handeln deutlich: Wollen sie ernsthaft ihrem Leben ein Ende setzen? Ist das Vorhaben durchdacht und endgültig? Trauen sie sich überhaupt zu springen? Der Zuschauer bekommt seine Zweifel und denkt vielleicht an das Buch »Der wunderbare Massenselbstmord« des finnischen Autors Arto Paasilinna. In dem Roman findet sich im dunklen Finnland bei reichlich Schnaps eine Selbstmördergruppe zusammen, die bei ihrer Reise zum kollektiven Absturz vom Nordkap feststellt, wie schön das Leben ist.

Ähnlich setzen sich im Film die Todesmutigen (?) erst einmal jeder in eine Ecke auf dem Dach, bevor Mark auf die Idee kommt, Flaschendrehen „Wahrheit oder Pflicht“ zu spielen. Der Zuschauer ahnt sofort, dass aus den daraus resultierenden Spannungen und Gesprächen die Protagonisten miteinander warm werden (am heißesten Tag des Jahres) und über ihre Motive für die Selbsttötung zu sprechen. Dramatik wird dabei nicht nur durch den Spielmodus „eine Frage, eine Antwort“, sondern auch den Beinahe-Absturz der angeblich angstlosen Silvi erzeugt. In dieser Szene ist der eigene Tod dann nicht mehr das Tagesziel, sondern das nackte Überleben. Mission accomplished? In der Tat erinnert dieser Teil des Films an »Breakfast Club«, ein sehr guter Film aus den 1980ern über fünf Schüler, die ausgerechnet an einem Samstag Morgen in der Schule nachsitzen müssen.

Klassiker: Zwei Tölpel in Polizeiuniform

»Balko«-Fans kennen Marek und Schafranek, bei »Alarm für Cobra 11« gibt es Bonrath und Herzberger – das tölpelhafte Streifenpolizisten-Duo ist ein Filmklassiker. Während des gemütlichen Flaschendrehens auf dem Dach betreten zwei Cops die Szene, weil dem Hausmeister etwas Verdächtiges aufgefallen ist. Zwischen den beiden Schutzmännern und den fünf Lebensmüden ergibt sich ein unbewusstes Katz-und-Maus-Spiel quer über das Dach, welches in einem Lüftungsschacht endet. Da dieser allerdings nicht für fünf Personen ausgelegt ist, landen sie gleich darauf in einem für einen Plattenbau-Gegend luxuriösen Loft.

Das Leben ist schön – die Rechnung allerdings ohne Wirt

Hier kippt die Stimmung weiter weg vom Suizid: Nach ein paar Bier aus der Minibar, Flugvideos, Lothars Gitarrenspiel alter Schulband-Klassiker und einer knisternden Kissenschlacht zwischen Silvi und Mark bleibt nur noch die Frage, wie sie wieder aus der Wohnung aufs Dach kommen – obwohl das Leben doch schön genug ist – bis Wohnungsbesitzer „Mr. Hairdesgin“ Markus mit einer Pistole in der Hand den Loft betritt. Doch die schlagfertige Gisela löst das Problem mit einem weiteren Filmklassiker: einem Kerzenständer.

Als Markus wieder gefesselt und in Pulp-Fiction-Manier geknebelt erwacht, muss das Sextett erneut fliehen, denn seine Verlobte Bettine war eigentlich mit ihm verabredet und schließt die Wohnung auf. Dumm für ihn, dass wieselflinken Selbstmörder es nicht geschlosse auf das Dach schaffen. So wird Markus gefesselt und geknebelt hinter dem Duschvorhang im Bad Ohrenzeuge, wie seine Verlobte nicht nur mit einem Freund des Paars Telefonsex hat, sondern auch noch fremdgeht. Die Konsequenz, als die Mannschaft auf dem Dach ankommt: Problemlösung mit Alkohol und Joints. Frei nach „Was bin ich?“ werden auch die Berufe der Protagonisten enthüllt.

Beinahe-Absturz nach Absturz

Und der nächste Absturz droht, als Markus reichlich unter Drogeneinfluss und die Trümmer seines Liebeslebens vor Augen auf die Brüstung klettert. Und natürlich retten ihn diejenigen, die vor einigen Stunden selbst von dort springen wollten. Doch plötzlich fehlt Fabian, dafür steht vor dem Hochhaus ein Krankenwagen, eine Leiche wird gerade abgedeckt. Unten angekommen (durch die verschlossene Tür ins Treppenhaus oder durch die Loftdecke?) klärt sich die Szene für die berauschten nach einem Dialog mit den Polizisten (wo waren die eigentlich während der Zechtour?), als der wegfahrende Krankenwagen den Blick auf den an einen Baum gelehnten Schüler freigibt.

Happy Open End?

»Suicide Club« hat einerseits ein fröhliches Ende, weil niemand gesprungen ist, andererseits ist offen, ob sich der Suizid-Club nicht morgen früh wieder trifft um diesmal wirklich „auf 3“ zu springen. Aber es deutet wohl vieles auf keinen weiteren Versuch hin: Alle fünf haben zu viel Angst vor dem letztlich nicht durchdachten Sprung in den Tod. Bei jedem Beinahe-Absturz, dem zähen Harren in der Mittagssonne, der gemütlichen Runde im Loft ist die Sinnlosigkeit des Ansinnens und die Schönheit des Lebens offensichtlich. Der Sprung würde kein einziges Problem lösen. Nach dem Eindruck von der Diskussionsrunde hatte Olaf Saumer diese Interpreation nicht im Sinne, sondern nur ein Open End. Und ein bisschen etwas an Spezialeffekten: mit Bergsteigern gesicherte Schauspieler, die zumindest nur vor einer Bluebox „abhängen“.

Fazit: vermeintlicher Kassel-Film über ein ernstes Thema mit kleinen Lücken

Pressepartner und Preisstifter aus der Region, ein Werk aus der Kunsthochschule unter der gut vernetzten Rektorin Karin Stempel (im Abspann persönlich gedankt), schöne Bilder von einem eigentlich weniger schönen Stadtteil, ein atemberaubender Sonnenaufgang über Baunatal, durchaus Witz bei einem ernsten Thema – der Goldene Herkules scheint kein Wunder für diesen technisch überzeugenden Film zu sein. Die Handlung kann allerdings auf Grund der Diskrepanz zwischen Plan (Suizid) und Wirklichkeit (Angst) und einiger logischer Fehler (für den Kasseler im Zuschauer) nicht immer überzeugen. Die Nachricht des Films – Suizid ist keine Lösung, egoistisch und bereitet anderen Menschen (Zeitungsmädchen) Probleme – ist allerdings gerade im grauen November deutlich hervorzuheben. Der Preis geht schon in Ordnung, auch wenn einiges komisch vorkommt.