Finale des 27. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofests
Abstract
Kassel (rb) – Am gestrigen Sonntag ging das 27. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofests zu Ende. Neben einer Bilanz der „Dokfest“ genannten Veranstaltung gab es acht nominierte Kurzfilme zu sehen, bevor dann die Preisverleihung stattfand. Prämiert wurden Kara Blake (The Delian Mode), Lukas Thiele und Tilman Hatje (Weltmaschine), Viera Cákanyová (Alda) sowie Olaf Saumer (Suicide Club).
Zu Beginn des Finales zogen die Organisatoren des Dokfests Gerhard Wissner und Kati Michalk Bilanz: Selbst „zu unmöglichen Zeiten“ seien die Kinovorstellungen „überbucht“ gewesen (siehe Dokfest-Blog: Full House am Wochenende, aber für alle). Um die Gäste „mit Excel-Tabellen zu verschonen“ wurden nur zwei Zahlen zum Festival genannt: Rund 500 Fachbesucher und 11.000 Zuschauer, damit 500 mehr als im Vorjahr, haben das 27. Dokfest besucht. Das 28. Dokfest findet vom 8. bis 13. November 2011 in Kassel statt. Wissner und Michalk äußerten in ihrer Eröffnungsrede den Wunsch nach einem starken Programm für den Filmnachwuchs an den Hochschulen.
Prämierungen: Stipendien und Preise
Organisatorischer Höhepunkt des Finales war die Verleihung eines Stipendiums sowie dreier Filmpreise. Nach der Autobahn zwischen Kassel und Halle ist das „A38-Produktionsstipendium Kassel–Halle“ benannt, eine Kooperation des Kasseler Dokfest mit der Werkleitz Gesellschaft. Mit diesem auf zwei Monate ausgelegten Stipendium wurde die kanadische Filmmacherin Kara Blake für ihren Dokumentarfilm »The Delian Mode«, der am Samstag Vorabend im Programm „Ana+Digi“ gezeigt worden war. Eine lobende Erwähnung wurde Corinna Liedtke für »Thomas, Thomas« zuteil.
Den „Golden Cube“ für Medieninstallationen erhielten Lukas Thiele und Tilman Hatje für »Weltmaschine«. Lobend erwähnt wurde Anthony McCall mit »Leaving (With Two-Minute Silence)«. Den Nachwuchs-Preis „Goldener Schlüssel“, gestiftet von der Stadt Kassel, gewann Viera Cákanyová mit ihrem Dokumentationsfilm »Alda« über eine an Alzheimer erkrankte Frau. Eine lobende Erwähnung fand Thomasz Wolskis »The Lucky Ones«.
Den Hauptpreis „Goldener Herkules“, laut Moderator Steffen Hallaschka „benannt nach dem knackigsten Hintern der Stadt“ gewann Olaf Saumer mit seinem in Kassel spielenden Film »Suicide Club«. Lobend erwähnt wurde Jens Jever mit »Bobby«.
Rahmenprogramm: Nominierte Kurzfilme brillant moderiert
Die Preisverleihung wurde vom „Kasseler Kind“ Steffen Hallaschka moderiert, der bei Stern TV auf Günther Jauch folgt. Im Vergleich zu Filmpreisen wie dem Babi zeichne sich das Dokfest aus durch „große Kunst, und nicht, dass man dem Veranstalter zugesagt hat“. Bösen Zungen über „die größte Kleinstadt“ zum Trotz sieht er die Fuldametropole als „Stadt im kreativen Schmelztiegel“ und meint damit das Kasseler Becken. Für die witzige, aber immer punktgenau Moderation des Abend hatte er das passende auf seiner Karte: „Jetzt steht hier bei mir heftiger und frenetischer Applaus.“
Vor den Preisen gab es acht für den „Goldenen Herkules“ nominierte Filme zu sehen. Matthias Beckers »Expedition Ikarus« ist eine Preview auf einen kommenden Film, der im Rahmen eines Kameraworkshops in einer Eisengießerei entstanden ist. Moderator Hallaschka bescheinigt dem Werk eine große Zukunft: „Jeder Bruce-Willis-Film läuft so“. »Die Flaschenpost« von Florian Grolig beschreibt eine Schiffsreise zum Südpol, an dem das Schiff in einer Art schwarzen Loch verschwindet. Der Regisseur des sehr düsteren und verstörenden Animationsfilm sieht in der Technik als Vorteil die Kontrolle über den Film. Positiver aber ebenfalls irritierend erscheint das „Musikvideo“ »Encierro« von Ana Esteve Reig: Drei Polizisten „mit Migrationshintergrund“ tanzen eine Frau an.
Im zweiten Block des Filmprogramms wurde »No. 4« von Brea Cali gezeigt. In diesem Film liegt eine Frau in einer Badewanne, ein Batiktuch schwimmt umher und sie sagt, schreit, beschreibt in drastischen Worten das Ende einer Beziehung. Während der Titel „was the fourth version of the text“, drückt der Film nach Aussage Calis das, „was gesagt werden muss, muss heraus“ aus – eine wahre Begebenheit? »Alf und Sven« ist ein weiteres Porträt interessanter Menschen von Christine Schäfer. Die beiden 84-jähirgen Protagonisten, die eigentlichen Stars des Abends, sind seit ihrer Geburt an zusammen und wollten eigentlich eineiige Zwillingsschwestern heiraten. Damit hat es leider nicht geklappt, aber mit dem Film: „Wir möchten uns ganz herzlich für diesen netten Applaus bedanken.“ Schäfer stieß auf die beiden durch einen Bericht in einer Lokalzeitung. »Die Gedanken sind frei« ist nicht nur ein Lied, sondern auch ein etwas langatmiger, düsterer Film von Urte Zindler. Nur: Was will er uns mitteilen?
Den Abschluss machten Alexander Gurko mit seinem „technischen Musikvideo“ »DRIVE_HEADS«. Dazu hat er eine alte „Festplatte aus den 1980ern“ im Takt von Robert Schumann arbeiten lassen. An den Instrumenten waren dabei ein Relais (Percussion), Diskettenlaufwerk (Bass) und natürlich die Festplatte selbst. »Der präizse Peter« von Martin Schmidt ist ein weiteres verstörender Animationsfilm über eine Familie, deren Haussegen beim Fischessen immer schiefer hängt, weil das jüngste Familienmitglied gerade erst Essen lernt. Der Film endet mit einem Ausraster des Vaters, in dessen Folge der Esstisch auf ihn kracht und sämtliches Besteck in ihm steckt. Meiner Meinung nach hätten genug andere Filme als Überleitung zur Preisverleihung besser gepasst.
Dokfest-Blog „inline“: Sekt und Schnittchen
Von Robert Bienert (rb) – Der Abend wurde dann bei leckeren Blätterteig-Schnittchen, halbtrockenem Sekt und Smalltalk mit Filmemachern und Mitarbeitern ausklingen gelassen. Insgesamt waren das fünf sehr spannende, interessante und vor allem sehenswerte Filmtage mit sehr vielen guten Filmen. Zu einigen werde ich nachher noch etwas schreiben – bei Suicide Club hat es sich nicht nur wegen des Goldenen Herkules' gelohnt, den Artikel bislang nur im Entwurf zu haben. Das Dokfest zeigt einerseits viele Perlen, die sonst am nordhessischen Filmfan vorbeigegangen wären, aber auch Einblicke in das regionale Marketing und Beziehungen in der hiesigen Kunstszene. Die Möglichkeit zur Diskussion mit den Filmemachern eröffnet weitere Zugänge zu ihren Werken – was im „normalen Kino“ praktisch ausgeschlossen ist.
Abgesehen von einigen Kurzfilmen in Programmblöcken habe ich für mich persönlich die richtigen Filme herausgesucht, es waren alles Volltreffer. Bei den Kurzfilmen sind mir allerdings die Animationen aus der Kunsthochschule sämtlich negativ aufgefallen: düstere Szenen, düstere Musik, keine Happy-Ends, der Zuschauer bleibt oftmals verstört zurück. Mehr als einmal dachte ich mir, „was soll das?“ Zum Glück wurde dies durch die vielen schönen Dokumentarfilme mehr als ausgeglichen – Goodnight Nobody, Osadné, Lichtspiele, Plug & Pray und Hacker sowie einige Filme der Kurzfilmblöcke »Das Leben ist anderswo« und »Ana+Digi«. Bleibt abschließend angesichts der täglichen Spätprogramme und nicht einmaligen Besuchs der Lounge eine geruhsame Nacht dem Leser und Zuschauer zu wünschen …
Nachtrag: Bei der kassel-zeitung wird über ein alternatives Finale des Dokfests (mit reizenden französischen Damen) beschrieben, denn gestern Abend liefen auch noch Filme.