Nordhessische … Film-Rezensionen: Games not over

Film-Rezensionen: Games not over

Abstract

Die Freunde von Computerspielen oder zumindest deren Optik kamen am späteren Donnerstagabend auf dem Dokfest auf ihre Kosten. Im Kurzfilmprogramm »Games not over« drehte es sich um „Computerspiele als Filme“ bzw. „Geschichten als Computerspiel“. „Ego-Shooter“ Robert Bienert hat diese „Map gespielt“.

Allen Filmen dieses Screenings war die teilweise Verwendung von Computerspielen oder deren Optik im Zusammenhang mit der filmischen Realität gemein. Die Filme »Another Day of Depression in Kowloon« sowie »Tarnac. Le chaos et la grâce« brachten dies am eindrucksvollsten auf die Leinwand, während sich »Reality 2.0« mit der Wirkung solch moderner Bilder in den Medien auseinandersetze. »Videospiel« schließlich verbindet Computerspiel und Dokumentation miteinander.

(„Ego-Shooter“ sind Computerspiele, in denen aus der Ich-Perspektive auf Gegner geschossen wird. Die Computerlandschaft, in der diese (Wett-) Kämpfe stattfinden, heißen „Map“.)

Zwei ernste Geschichten: Mexikanische Mafia …

»Reality 2.0« ist technisch gesehen ein Zeichentrickfilm, der Propaganda-Videos mexikanischer Mafia-Clans nachzeichnet. Diese Videos sind im Bild Egoshootern nachempfunden und dienen der öffentlichen Einschüchterung der Bevölkerung. Nach Aussage des Regisseurs Victor Orozco Ramirez gehören dazu auch öffentlich angehängte Leichen oder Teile davon. Diese Bilder werden als Waffe zum Erzeugen von Angst verwendet – und das in einem Land, das historisch eine „Kultur des Todes“ besitzt, wie Ramirez es nennt. Wahrscheinlich dürfte deshalb auch das erste Video dieser Art so massiv in der Öffentlichkeit gewirkt haben: Ein Mafia-Clan verschickte als Warnung das Video einer Erschießung an eine Zeitung, die dieses Video allerdings veröffentlichte. So wurde die Wahrnehmung und Wirkung solcher Bilder offenbar.

Ramirez' Film benutzt zur Darstellung der Wirkung die Metapher von Ratten und Hasen („rats and rabbits“). Im sicheren Deutschland, wo er aktuell lebt, haben wir die Ratten in Hasen verwandelt, während sich in Mexiko seit des Kampfes gegen die Drogen-Kartelle die Hasen in Ratten verwandelten.

… und französische „Guerilla“

2008 werden im französischen Dorf Tarnac mehrere Personen von einem Sondereinsatzkommando der Polizei bei einer Razzia festgenommen. Den Personen aus dem linken Milieu wird ein Anschlag mit Hakenkrallen auf die Oberleitung einer TGV-Strecke vorgeworfen. In der Tat findet die Polizei bei der Durchsuchung nur radikale Schriften, allerdings keine Beweise. Bis heute ist der Fall nicht aufgeklärt.

In Joachim Olenders Film wird die Geschichte ähnlich einer „Mission“ im beliebten Egoshooter »Counter Strike« aufbereitet. Figuren aus der Gruppe der „Terroristen“ fahren zur Bahnlinie, laufen den Bahndamm hoch („the bomb has been planted“) und wieder herunter und fahren zurück ins Dorf. Am nächsten Morgen steht ein TGV auf offener Strecke, ausgebremst durch Hakenkrallen in der Oberleitung. Nach einem Polizeieinsatz im Dorf und der Auswertung von Videoaufnahmen bereiten sich die Einsatzkräfte auf den Einsatz vor – die „Counter-Terrorists“ wählen Waffen und Munition aus, fahren zum Haus und stürmen dieses („Counter-Terrorists win“).

Ein Spiel im Film

Dass aus Shootern Filme für Festivals werden können, hat im übertragenen Sinne bereits letztes Jahr Vanessa Nica Muellers »Traces of an ELEPHANT« gezeigt. »Another Day of Depression in Kowloon« von IP Yuk-Yiu basiert auf einem ähnlichen Konzept: Der Betrachter wird durch die fiktive Stadt Kowloon geführt, in der während des kompletten Films eine heftige Gewitterschauer tobt. Die Atmosphäre ist düster, aber nicht gruselig oder Angst einflößend. Tatsächlich ist Kowloon eine Map aus dem Ego-Shooter »Call of Duty: Black Ops«. Das ist insofern interessant, als dass es beispielsweise mit Ausschnitten aus dem beliebten Spiel »Grand Theft Auto« (GTA) ohne Weiteres möglich wäre, Stunden an Filmmaterial anzufertigen.

Ein Spiel und ein Film als Video

»Videospiel« von Aurélie Kunert verbindet neben verschiedenen Videoformaten vor allem Computerspiel mit Dokumentarfilm. Dokumentiert wird die Arbeit auf einem elsässischen Biohof, der noch mit viel Handarbeit bewirtschaftet wird. Einer der Protagonisten spielt in seiner Freizeit ein „Farming-Game“, in dem virtuelle Felder gemäht und Kühe gefüttert werden müssen. Kunert schafft es, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten virtueller und realer Landwirtschaft geschickt aufzuzeigen, wobei der dokumentatorische Teil natürlich ohne „Grafikfehler“ wie durch Wände gehende Kühe auskommt. Die größte Überraschung dürfte allerdings sein, dass es überhaupt solche Computerspiele gibt – und dass diese auch tatsächlich von Farmern gespielt werden. In vielen Fällen dienen Spiele ja eher zum Verlassen der realen Welt durch Eintritt in eine virtuelle.