Nordhessische … Film-Rezensionen: Legenden der Zukunft

Film-Rezensionen: Legenden der Zukunft

Abstract

Dieser Titel beschreibt das Thema dieses Kurzfilmprogramms treffend: Die Zukunft baut auf Legenden, auf der Vergangenheit auf. Das können visionäre Ideen, Geschichten oder ganze Imperien sein. Und was liegt näher, als Filme über die Zukunft kurz vor Ablauf eines und damit Beginn eines neuen Tages zu zeigen? Robert Bienert saß am Freitag Abend im Bali-Kino und hat sie gesehen, die »Legenden der Zukunft«.

Motive und Einstellungen, die an dieses große Werk von 1968 erinnern, tauchen passenderweise gleich in zwei Filmen des Programms auf.

»John's Desire« von Henning Frederik Malz beschreibt die Geschichte des Universums vom Urknall bis heute. Angefangen beim kosmischen Staub über die Bildung erster Sternhaufen bis zu den heutigen Galaxien hat er die Entwicklung aus Bildern alter VHS-Videokassetten zusammengeschnitten. Sterne und Sternbilder entpuppen sich dabei als verfremdete Logos bekannter Filmfirmen. Das Medium VHS hat Malz dabei aus zwei Gründen gewählt: Diese Technik ist ursprünglich fürs Heimkino entwickelt worden, also eine ganz andere Atmosphäre und Publikum als im Lichtspielhaus. Und alte Kassetten, „Perlen“ vom „technischen Schrotthaufen“, gibt es mittlerweile in großer Stückzahl für wenig Geld. In der anschließenden Diskussion wurde auch noch die Frage beantwortet, wer in diesem Film eigentlich „John“ ist: ein Allerweltsname, der für jeden von uns (Heim-) Cineasten stehen kann.

Tanja Demans »Abode of Vacancy« zeigt eine Reise von der Wüste in die Betonwüste – es scheint alles leer und unbelebt. Die Gebäude wurden im Stile einer vergangenen Architektur entworfen. Zusammen mit der ausgedehnten Zeit, die sich die Regisseurin für die Reise und die einzelnen Einstellungen nimmt, wartet der Kubrick-Kenner in Demans Schwarz-Weiß-Film an so mancher Stelle auf Urzeitmenschen, einen schwarzen Monolithen oder einen Computer.

Neue Mächte auf den Fundamenten vergangener Weltreiche: Russland …

Die UdSSR war eine Weltmacht, aus deren „Insolvenzmasse“ marktwirtschaftlich orientierte Staaten gegründet worden. »New Empire« von Sasha Litvintsera zeigt zuerst die Überreste der Sowietrepublik, der monumentalen Ästhetik von Gebäuden, Denkmalen und sogar Kirchen. Menschenleer und verlassen künden diese Szenen von längst vergangenen Zeiten. Bilder eines tempelartigen, ehemaligen Sowiet-Gebäudes, in dem ein Markt untergebracht ist, leiten in die Gegenwart über – nun ein „Konsumtempel“. Durch weitere Szenen von Moskauer Straßen und einer Automesse (mit sehr jungen und sehr lasziven Messe-„Hostessen“) wird diese Entwicklung auf die Spitze getrieben. Dieser Schnitt in der Geschichte des Films lässt sich mit Litvintseras Biografie erklären: Die Regisseurin war innerhalb der letzten acht Jahre nur zweimal in Russland und ist vom dortigen Wandel mehr als überrascht.

… tungu …

Als letzter Film des Programms wurde »tungu« von Marc Rühl gezeigt, eine Geschichte über das letzte verbleibende Volk ohne Schrift, sondern nur Tanz als Kommunikation. Von der Wissenschaft gut erforscht wird eines Tages eine gravierende Veränderung im Stammesverhalten registriert: Die Menschen tanzen um einen großen Totenschädel und verwehren den Auswärtigen Zugang zu ihren Tempeln. In ihrer Körperbemalung tauchen Symbole auf, die an die Buchstaben C, E, I, M und R erinnern. Die bis dato unberührte und weltoffene Gemeinschaft ist feindlich und abweisend geworden. Indem Wissenschaftler unbemerkt das Heiligtum der Tungu betreten können, stoßen sie dort auf die Ursache der „neuen Macht“: Ein Fetzen Papier eines Groschenromans mit dem Titel „Crime“ und einem Totenkopf auf dem Deckblatt. Untersuchungen des Papier ergeben, dass es aus einer Flugzeugtoilette heruntergespült worden ist.

Dieser Film ruft dem Wissenschaftler die Verantwortung seiner Tätigkeit ins Bewusstsein, indem gezeigt wird, welche Folgen sein Handeln haben kann. Die Natur ist eine zerbrechliche Lebensumgebung für den Menschen, die schnell unbewohnbar werden kann, wenn technische Entwicklungen aus dem Ruder laufen. Beispiele dafür sind Chemie-Unfälle, atomare Katastrophen, aber auch Asbest und in Zukunft vielleicht Nanopartikel in Sonnencreme. Das Abschätzen solcher Folgen ist ein wichtiger Bestandteil wissenschaftlicher Arbeit.

… und die ganze Erde

»When the Smog-Filled Wind Began to Howl« … kamen UFOs mit einer gewissen Ähnlichkeit zum „Ungeheuer von Loch Ness“ zur Erde, um alles Leben auszurotten und die Kontrolle über den Planeten zu übernehmen. Christina Battles Film, inspiriert von »Krieg der Welten«, dokumentiert in der Optik der Trick- bzw. Science-Fiction-Filme aus den 1960er Jahren (wie z.B. »Raumpatroille Orion«), wie trotz massiver Gegenwehr menschlicher Armeen und Flugabwehr schließlich die UFOs den Krieg gewinnen. Dass ein solches Thema in dieser Technik heute noch erfolgreich sein kann, zeigt auch die ZDF-Serie »Ijon Tichy: Raumpilot«, die zum Teil auf Stanisław Lems »Sterntagebüchern« basieren.

Die Eroberung des Weltraums

Wer die Erde verlassen will, muss fliegen. Nachdem Ikarus' Versuch mit Flügeln fehlgeschlagen ist, hatte Francis Godwin 1603 die Idee, mit Hilfe von „Mondgänsen“ zum Mond zu fliegen. In Agnes Meyer-Brandis' Film »The Moon Goose Colony« wird wissenschaftlich akurat der heutige Versuch des „Gänse-Astronauten-Trainings“ dokumentiert. Bereits im Ei erfahren die ungeschlüpften Tiere von ihrer Mission. Kaum haben sie das Licht der Welt erblickt, beginnt die Vorbereitung mit Blick auf den Mond.

Das Raumflugprogramm besteht dabei aus Lerneinheiten zur physischen Ausdauer, koordinierten Flug in V-Formation, physikalischen Grundlagen der Flugbahn sowie sogar einem Höhentraining. Diese Szenen mit der Protagonistin auf dem Fahrrad und den Gänsen im Marsch hinterher oder gemeinsam vor einer Tafel mit Gleichungen und Bahnkurven wirken zwar surreal, aber lassen keinen Moment an der Ernsthaftigkeit der Mission zweifeln. Doch trotz Höhentraining und Gewöhnung an den Raumanzug scheint dies erst noch die Grundlage für den Mondflug zu sein: 2020 soll der erste Besuch im All stattfinden, die Mondlandung ist für 2037 vorgesehen. Hoffentlich können die Erfolge dann beim 37. und 54. Dokfest gefeiert werden.