Filmrezensionen: Herzblut auf und vor der Leinwand
Abstract
Am Dokfest-Freitag gab es viel Herzblut auf und vor der Leinwand des großen Bali zu sehen. Neben dem gleichnamigen Screening tauchte dieses Motiv auch in den Filmvorführungen «Auf den zweiten Blick» und dem cineastischen Spätprogramm «Nachtsicht» auf. Robert Bienert hat die Filme dieser Screenings aus Sicht des leidenschaftlichen Filmfreundes gesehen und genossen.
… wurden im so genannten „Herkulesprogramm“ gezeigt, also alles Werke, die für den Goldenen Herkules nominiert sind. Von den vier gezeigten Filmen war dem Filmlaien allerdings in nur zwei davon das Herzblut, die Leidenschaft der Protagonisten ersichtlich. Und zufällig geht es in beiden Dokumentationen über die Leidenschaft, das Herzblut, mit dem Sportler am Start sind.
Miss Universe
Um diesen Titel gewinnen zu können, muss Frau Bodybuilding betreiben und das richtige Verhältnis von „Härte“ und „weichen Formen“ besitzen, wie uns die Protagonistin in Christine Schäfers Dokumentation erklärt. Und dass sie «Miss Universe» werden will, daran lässt der Film keinen Zweifel. Christine Schäfer begleitet eine Frau in die Fitnessstudios und auf dem Weg zum Titel, wobei jede Menge Schweiß fließt, „Eiweißgetränk mit Schokogeschmack“ getrunken und an den Sportgeräten gelitten wird. Doch auch abseits des Wettkampfs ist der Protagonistin Fitness im Alltag wichtig, wie später im Film herausgestellt wird: um körperlich fit und jung zu bleiben. Selbst wenn sie mit den Wettkämpfen zur Miss Universe eines Tages aufhören sollte, bleibt das Ideal des „sportlichen Jungbrunnens“. Wobei das Herzblut gerade durch die Wettkämpfe kommt und die Motivation liefert, körperlich an die Grenze zu gehen. Diese andere Sicht aufs Bodybuilding, einem oft mit eher einfältigen Eiweiß- und Anabolikakonsumenten verbundenen Sport, liefert diese solide Dokumentation in Form einer von vorne bis hinten runden Geschichte.
Fußballdeutschland: „weltoffen, engagiert und sozial“
Nicht nur die jungen Protagonisten in Mustafa Gündars Dokumentation sind „fußballverrückt“, sondern auch der Regisseur – und natürlich „Fußballdeutschland“. Während der WM 2010 in Südafrika veranstaltete die FIFA parallel ein Straßenfußballturnier in Johannesburg mit teilnehmenden „Jugendnationalmannschaften“ aus diversen Ländern der Erde. Im von Mustafa Gündar dokumentierten deutschen Team spielt u.a ein Kicker des Kasseler Vereins Dynamo Windrad mit, der zum „Football for Hope Festival“ nach Südafrika reisen darf. Doch bevor die Jungs und Mädels im „Straßenfußballstadion“ in einem Johannesburger Township antreten können, muss sich in gemeinsamen Workshops und Trainings erst ein Team bilden. Berti Vogts damals zur EM 1996: „Der Star ist die Mannschaft.“ Und alle Mannschaften, die im Laufe des Films gezeigt werden, kämpfen hoch motiviert und mit viel Sportsgeist um den Gewinn des Turniers. Doch dass Herzblut auch schnell in Enttäuschung umschlagen kann, wird ebenfalls gezeigt – die deutsche Mannschaft kann nur ein Spiel gewinnen, schnell macht sich Frust bei den Kickern breit. Die große Stärke dieses Films ist die nachfühlbare Darstellung der Emotionen, die in diesem Turnier stecken – großes Fußballkino.
Daneben zeigt der Film auch die Diskrepanz zwischen der heilen FIFA-Welt und der südafrikanischen Realität. Auf der einen Seite werden die Straßenfußballer mit Polizeieskorte vom Camp zum Stadion (sic!) transferiert und fürs Corporate Identity komplett mit gesponsorter Kleidung eingedeckt. Während es in der gekapselten FIFA-Welt keine Probleme außer der sportlichen gibt, wird offiziell vor einem Schritt nach draußen in die südafrikanische Welt gewarnt. Doch weder das Team noch der Regisseur halten sich sklavisch daran und werden einerseits mit dem armen, aber dennoch nicht gänzlich unglücklichen Leben und andererseits einer eher friedlichen Atmosphäre konfrontiert. Diese Erfahrung hat die jungen Fußballer nachhaltig geprägt. Denn das verbindende Element zwischen ihnen und den Kindern auf der Straße ist der Fußball.
… und Filme, die viele Fragen offen lassen
Die anderen beiden Filme dieser Session, Nico Sommers «Vaterlandsliebe» und «Landlust» von Christoph Pfannkuch hinterlassen allerdings jede Menge offener Fragen. Bei «Landlust», einem herzblütigen (?) Herumtollen zwischen Kühen auf einer Weide und im Stroh, fragt sich der Cineast schlicht nur „warum?“
Vaterlandsliebe
Dieser Film macht es gerade durch die anschließende Diskussion mit dem Regisseur noch schwieriger, ihn einzuordnen. Gegenstand des Films ist ein Mann, Wachmann im Museum, Boxer, kurz geschorene Haare, Freundin mit afrikanischem Hintergrund, deutscher (?) Schäferhund. Dieser Mann fällt durch seine überzeichnete Liebe zum Vaterland und der Angst vor „Überfremdung“ auf, wobei er zumindest mit ersterer am Ende des Films, nach Verlust eines Boxkampfs und seiner Freundin, wohl abgeschlossen hat. Dieses Ende kommt dabei sehr abrupt, auf Grund der Kürze des Films fehlt der Tiefgang, das auf den Punkt Bringen des Themas. Die anschließende Diskussion beginnt schleppend als Selbstdarstellungsprogramm eines Teils der Kasseler Kunsthochschule. Die Frage, „was der Film will“, wird zuerst mit einem Hinweis auf die Sarrazin-Debatte versucht zu beantworten, was die Frage nur verstärkt.
Zuschauer: Kennst du nette Rechte?
Sommer: Sind die nett?
Sommer weiter: Ich weiß nicht, wo das Problem ist.
Publikum: Wir wollen den Film verstehen!
Damit wird meiner Meinung nach die Sinnhaftigkeit des Films an sich in Frage stellt. Es entsteht der Eindruck, dass man sich zwar irgendwie zum Thema neue Rechte äußern möchte, aber nicht weiß, wie und eigentlich auch keine wirklichen Argumente für irgendeine Position hat. Die Auseinandersetzung und die politisch-gesellschaftliche Botschaft werden ausschließlich über das Bloßstellen des Protagonisten vermittelt. So bleibt vom Film nicht viel.
Auf den zweiten Blick
Doch manchmal ist der zweite Blick zum Verständnis vergangener Dinge sehr nützlich, wie dieses Screening zeigt. Und in der Dokumentation «Die Frau des Fotografen» von Karsten Krause und Philip Widmann gibt es auch viel Herzblut. Der Fotograf war dabei der verstorbene Ehemann der Protagonistin, Beamter bei der Bundesbahn und leidenschaftlicher Fotograf. Die Dokumentation beschränkt sich dabei auf die Urlaubsaufnahmen und -berichte des Paares und zeichnet dabei vielleicht ein prototypisch deutsches Leben, beginnend mit den Italienurlauben der Wirtschaftswunderzeit über die Entdeckung Frankreichs bis hin zur Erschließung Osteuropas nach dem Fall des eisernen Vorhangs. Die Urlaube sind akribisch festgehalten und mit reichlich Fotos dokumentiert. Und während der Film dieses Leben nachzeichnet, wird auch das Herzblut, die Liebe zwischen der Frau des Fotografen und ihm selbst deutlich.
Traces of an ELEPHANT
Dieser Film von Vanessa Nica Mueller über Alan Clarkes «ELEPHANT» kommt als Kontrapunkt zum Herzblut dieses Dokfest-Tages daher. Der Film besteht aus Sequenzen von ELEPHANT, aus dem hierfür die Erschießungsszenen und Nahaufnahmen der Erschossenen entfernt worden sind. Stattdessen ist die Spurensuche angereichert mit Kommentaren von Zuschauern des Originalfilms. In diesem werden ohne große Emotionen scheinbar wahllos, aber kommentarlos Menschen in Belfast erschossen, wobei die Täter stets schnellen Schrittes zum und vom Tatort eilen. Die gesamte Atmosphäre ist kalt und ungemütlich, wie wohl auch der Nordirlandkonflikt an sich. Spannend wird die ganze Geschichte nun durch die Kommentare von Menschen, die selbst in Belfast leben und die Originalschauplätze damals und heute kennen. Neben dem Wecken des Interesses an Alan Clarkes Film lässt die Dokumentation die Frage zu, ob die Atmosphäre in der Stadt nicht sogar Teil der Kälte und Feindlichkeit des dortigen Lebens ist. Für meinen Geschmack ist dies ganz großes Kino.