29. Kasseler Dokfest eröffnet: Volles Haus im Gloria
Abstract
Kassel (rb) – Am gestrigen Dienstag Abend wurde das 29. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest eröffnet. Neben der Begrüßung und den Grußworten standen die beiden Filme »Momenta 100 – 100 Tage Film« sowie »Frohes Schaffen – Ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral« im Vordergrund der Veranstaltung. Abgerundet wurde diese durch ein schmackhaftes Buffet.
Zur Eröffnung des Fests konnte wieder das gewohnte „selbstorganisierende Chaos“ bei der Abholung der reservierten Karten bestaunt werden. Doch trotzdem gelangten die Filmfreunde und -schaffenden in geordneten Bahnen in den Saal, wo sie mit einem experimentell elektronischen Begleitprogramm begrüßt wurden. Die Gruppe »PARADIGMA« griff dazu auf Klavier und Effektgerät zurück. Angesichts des Dokfest-typischen Wetters, „draußen kalt und neblig, drinnen warm und gedrängt“ folgten so viele dem Klang der Musik, um das „gemütliche Gloria-Kino“ restlos zu füllen.
Neue Technik in den Kinos
Seit Anfang des Jahres sind die „gemütlichen Kinos“ des Dokfests auch mit „moderner Digitaltechnik“ ausgestattet, was vom Festivalteam als positiv und einfacher zu handhaben dargestellt wird. Mit Blick auf eine Diskussion beim Dokfest 2010 über die Unterschiede zwischen »Ana+Digi« sei allerdings an das Thema des Workshops »interfiction AMESIARCHIVE« erinnert. Mit dieser Fragestellung werden sich in der Zukunft alle Rezipienten von Filmen (und auch anderen Kunst- bzw. Datenformen) auseinander setzen müssen.
Festivalteam: Der Star ist die Mannschaft
Auf Plakaten, dem Katalog, Informationsmaterial und der Einladung zur Eröffnung ist überall das Festivalteam in sportlicher Kleidung zu sehen, auf dem wohl eindrucksvollsten Bild im Katalog steht die komplette Mannschaft auf dem Gerüst vor der Leinwand des Open-Air-Kinos. Dies soll den Teamgedanken der helfenden Hände symbolisieren. So, wie deren Arme und Beine auf dem Titelbild des Katalogs ineinander greifen, stellt sich das Dokfest auch das Zusammenspiel der einzelnen Programmaspekte vor. Beides wird sich im nun gestarteten „Sechs-Tage-Rennen“, wie die Stadträtin Brigitte Bergholter das Dokfest nannte, wieder unter Beweis stellen.
Kunst vs. Kunst
Dass das Kasseler Dokfest doch nicht zwingend ein „großartiges Großereignis“ ist, wie Frau Bergholter lobte, sondern manchmal auch Provinz, zeigte der Moderator des Abends, Clemens Camphausen mit platten und damit langweiligem dOCUMENTA (13)-Bashing und der irritierenden Aussage, in Kassel habe man nach der d13, „internationales Flair erst wieder ab der Unteren Königsstraße.“ Nicht nur der im Publikum anwesende documenta-Geschäftsführer Bernd Leifeld wird sich gefragt haben, ob sich das Kasseler Dokfest wirklich an der documenta abarbeiten muss.
Endlich Filme: Momenta 100 …
Der erste Eröffnungsfilm, fünf Ausschnitte aus »Momenta 100 – 100 Tage Film«, war denn auch wie der Gegenbeweis im Programm platziert. Die Brüder Johannes und Karl Brunnengräber haben die d13 alle einhundert Tage lang mit der Kamera begleitet und über jeden Tag einen einhundert Sekunden langen Ausschnitt gedreht. Es ist das erste dokumentatorische Werk der beiden, denn sie waren „überrascht, wie viele Geschichten auf der Straße 'rumlaufen.“
Die d13-Geschichten, eingefangen von zweien, die „diesen Sommer ein bisschen Zeit hatten“, werden am Samstag von 14 bis 17 Uhr im Gloria Kino gezeigt. (100 Tage 100 Sekunden sind in der Tat knapp drei Stunden Film.)
… und Frohes Schaffen
Der Untertitel des Films, »Ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral«, ist hier definitiv Programm. Konstantin Faigle geht der Bedeutung der Arbeit in unserer Gesellschaft nach und spürt so die religiösen Züge dessen nach, dem immer noch ein großer Teil der Bevölkerung huldigt und Opfer bringt: Der Erwerbsarbeit. Wir identifizieren uns über unsere Tätigkeiten und glauben daran – wie bei einer Religion. Ein Interviewpartner bringt es auf den Punkt: „Wenn wir uns vorstellen, sagen wir, wer wir sind und was wir machen.“ Dies führt natürlich zu menschlichen Problemen, wenn man sich von seiner Arbeit entfremdet, was an Hand zweier Beispiele deutlich wird: Ein Ingenieur brennt sich durch absolute Flexibilisierung und Leben, um zu Arbeiten aus. Und ein Büroangestellter von France Telekom verliert seine Stelle und damit Aufgabe bzw. Platz im Leben beim Umzug des Firmensitzes.
Eine „Senkung der Arbeitsmoral“, wie im Film mehrfach und ganz unterschiedlich propagiert, könnte helfen, menschlichen Tätigkeiten wieder einen Sinn zu geben, würde allerdings die bestehende Marktwirtschaft vollkommen umkrempeln. Das „Faulsein“, wie es nicht nur in der „Akademie des Müßiggangs“ gelehrt wird, widerspricht der Annahme eines „homo oeconomicus“ und des Wachstumsparadigmas. Wie lange allerdings noch eine Marktwirtschaft und Gesellschaftsordnung auf unendlichem Wachstum und Zins basieren kann, wird in Zeiten von Banken- und Wirtschaftskrisen stark in Frage gestellt. Dieses Thema beschäftigt nicht nur uns im Heute, worauf der Film sein Augenmerk richtet, sondern vor allem auch mit Blick in die Zukunft.
Der Film wird am Mittwoch und Sonntag jeweils um 21:45 Uhr im Filmladen gezeigt und kommt ab März deutschlandweit in die Kinos.