Nordhessische … Tram nach Vellmar – und die Autostadt schaut zu

Tram nach Vellmar – und die Autostadt schaut zu

Abstract

Ab dem 22. Oktober soll Vellmar Teil des Kasseler Straßenbahnnetzes sein. Vor wenigen Tagen hat die Kasseler Verkehrsgesellschaft (KVG) Informationen zu den neuen, dann gültigen Fahrplänen veröffentlicht und damit ihr reichhaltiges Angebot an die Ahne-Stadt veröffentlicht. Gleichzeitig lässt sich die größere Stadt Baunatal die Butter vom ÖPNV-Brot nehmen, findet Kommentator Robert Bienert.

Vellmar ist eine Kleinstadt mit rund 19.000 Einwohnern und wird ab dem 22. Oktober 2011 neben dem bisherigen Bus- und RegioTram-Angebot zusätzlich von der Kasseler Straßenbahn bedient. Die erste Tram erreicht Vellmar werktags gegen 5 Uhr, die letzte kurz vor Mitternacht. An den Wochenenden fahren zusätzlich Nachtschwärmer bis 2:15 Uhr nach Vellmar. Sonntags kann Kassel allerdings erst gegen 6 Uhr morgens in Richtung Vellmar verlassen werden. Die einzelnen Vellmarer Stadtteile sind durchgehend mit Buslinien verbunden.

Baunatal ist eine Mittelstadt mit etwa 28.000 Einwohnern und wird seit dem 27. Mai 1995 von der Kasseler Straßenbahn bedient. Die erste Bahn erreicht Baunatal werktags gegen halb sechs, Richtung Kassel geht es bereits ab 5 Uhr. Die letzte Bahn aus Kassel kommt nach Mitternacht an, Richtung Kassel wird allerdings schon um 22:45 Uhr der Bahnsteig hochgeklappt. An den Wochenenden fahren zusätzliche Nachtschwärmer bis 2:15 Uhr in beiden Richtungen, sonntags danach erst wieder gegen 6 Uhr. Mit kleineren Änderungen bei den Linienwegen besteht das Angebot des Bus-Stadtverkehrs sowie der Bus-Anbindung an Kassel sowie Schauenburg seitdem fort: Abends und am Wochenende gibt die Nachfrage lediglich ein AST-Angebot her.

Spätverkehr aus Baunatal: Am Wochenende ein Schritt zurück?

Vorweg: Unter der Woche sind keine Änderungen im Fahrplan der Tram 5 zu erkennen. An den Wochenenden von Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag führt die neue Verknüpfung der beiden Nachtschwärmerlinien N1Vellmar—Kassel und N5 Baunatal—Kassel allerdings zu einer drastischen Verschiebung der Spätverkehrs aus Baunatal in die Fuldametropole: Der bisherige Nachtschwärmer gegen Mitternacht mit Linienverlauf zur Holländischen Straße fährt nun eine halbe Stunde später in Baunatal ab. Damit verkehrt am Wochenende ab 22:45 Uhr für 1:45 Stunden keine Tram zwischen Baunatal und Kassel! Wer also die Kasseler Südstadt als Fahrtziel hat, kommt um andere Verkehrsmittel (AST, Fahrrad, Taxi, eigener PKW, …) nicht umher. Die zweite Nachtschwärmerfahrt verlässt Baunatal nun gegen 1:45 Uhr und dreht keine Runde in der Kasseler Innenstadt mehr, sondern fährt direkt weiter nach Vellmar.

Spätverkehr in Kassel: Vertane Chancen

Dieser Fahrplan lässt am Mattenberg leider weiter keinen Anschluss von Baunatal über Helleböhn nach Wilhelmshöhe zu. Die nach dem zweiten Nachtschwärmeranschluss gegen 2:40 Uhr aus Vellmar zurückkehrende Straßenbahn biegt um 3 Uhr Am Stern ab zur Sandershäuser Straße. Hier wurde wiederholt die Chance einer weiteren Verbindung der Innenstadt mit dem Vorderen Westen zu bieten vertan. Möglich wäre dies durch die Verlängerung der N1 zum Betriebshof Wilhelmshöhe oder dem Tausch der beiden Fahrten der N4 (letzte Fahrten Helsa—Wilhelmshöhe sowie Mattenberg—Sandershäuser Straße).

(Un-) Wille zum ÖPNV

Der Vergleich der zwei ungleichen Städte Vellmar und Baunatal offenbart auch den Willen zum ÖPNV in Vellmar einerseits und die Nebenrolle des ÖPNV in Baunatal andererseits. Während Vellmar seit einigen Jahren beharrlich dabei ist, mit RegioTram, Bus und Straßenbahn die Stadt besser an die Region anzubinden, scheint man in Baunatal mit dem jeweiligen Status Quo zufrieden zu sein. Kürzungen von Fahrten der KVG werden nicht aus dem Stadtsäckel bezahlt, zum Stadtfest gibt es keine zusätzlichen Spätfahrten, die RegioTram tangiert nur periphär.

Interessant wäre ein Vergleich mit anderen Städten, die von einem Autokonzern dominiert werden. Der große Anteil von VW-Angehörigen scheint ein autofreundliches Klima zu erzeugen, woraus eine prinzipiell geringere ÖPNV-Nachfrage resultiert. Das so nur finanzierbare ÖPNV-Angebot begünstigt den Wegzug von „Nicht-VW-Einwohnern“ nach Kassel (oder Vellmar) und macht die Stadt für ÖPNV-Nutzer nicht sonderlich attraktiv. Ob sich diese PKW-Fixierung Baunatal in Zukunft allerdings wird halten lassen, scheint auf Grund des demografischen Wandels fraglich. Doch dann hat Baunatal gegenüber dem bereits gut angebundenen Vellmar das Nachsehen. Angesichts der Kosten eines Autos in Relation zum verfügbaren Haushaltseinkommen ist eine gute ÖPNV-Anbindung nämlich auch eine Investition in eine familienfreundliche und damit zukunftsträchtige Stadt.

Der Autor hat seine Jugend und Adoleszenz in Baunatal verbracht und ist u. a. wegen der aus dem bescheidenen ÖPNV-Angebot resultierenden Unflexibilität nach Kassel gezogen. Dort gefällt ihm u. a. die Nähe und gute Erreichbarkeit aller wichtigen Orte zu jeder Tages- und Nachtzeit.