Ausreden für Dumme
Abstract
Seit einiger Zeit wird man auch im sozialen Netzwerk Twitter mit den Äußerungen rechtskonservativer Pegida- und/oder Pegida-Anhängern konfrontiert. Der Autor hat mehrfach versucht den Dialog zu suchen, doch spätestens beim Nachhaken nach Belegen oder Verweisen auf Fakten war die Diskussion beendet. Man kann damit also sagen, dass diese Menschen in ihrer eigenen Parallelwelt leben (und gleichzeitig andere Parallelwelten anprangern).
Konfrontation mit dem eigenen Weltbild
Die Frankfurter Rundschau hatte bereits am Mittwoch vorgewarnt, dass Diskussionen mit bestimmten Typen von Menschen schwierig bis unmöglich sind: Ängstliche Menschen, „besorgte Bürger“, denken nur in den zwei Kategorien gut und schlecht/böse. Wie der FR-Interviewpartner Prof. Rolf Haubl ausführt, erleichtert diese Reduktion der Denkkategorien scheinbar die Komplexität eines Themas, denn damit gibt es plötzlich nur noch Ja- oder Nein-Entscheidungen. Differenzierungen sind komplex und werden daher ausgeschlossen, ebenso Fakten, die dem eigenen Weltbild widersprechen.
Beispiele
- Angebliche oder tatsächliche Straftaten von Asylsuchenden oder Einwanderern werden skandalisiert (dabei sind es im Falle tatsächlicher Taten normale Täter, die der Rechtsstaat normal zu verurteilen hat), Taten der „eigenen Leute“ spielen keine Rolle oder können eigentlich gar nicht sein (Agent Provokateure am Werk).
- Auseinandersetzung mit den kruden Thesen oder öffentlichen Äußerungen von Führungspersonen werden gerne mal als „Rufmord“ oder „Stimmungsmache“ hingestellt.
- Da ist es schon fast eine Bagatelle, dass ein „Unterstützungsaccount“ nicht weiß, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland funktioniert und das per Retweet weiter verbreitet.
Godwin's Law 2.0 AfD-Edition
Diese „Gesetzmäßigkeit“ besagt, dass jede längere Diskussion mit zunehmender Länge bei einem Hitler- oder Nazivergleich landet und damit endet. Für die Mathematiker:
As an online discussion grows longer, the probability of a comparison involving Nazis or Hitler approaches one.
Im Web 2.0 und der Diskussion mit Recht(skonservativ)en sind Hitler- oder Nazivergleiche natürlich witzlos, dem entsprechend braucht es ein anderes Totschlagsargument – und das sind in diesem Fall Fakten; es braucht also lediglich ein Argument (ohne Totschlag). Die Diskussionen der letzten Tagen haben genau das zu Tage gebracht: Das Ende kommt abrupt, sobald Quellen für Behauptungen angefordert werden oder mit Quellen Thesen widerlegt werden können.
Dem faktenorientierten Internetnutzer kommt das natürlich sehr entgegen, ist es doch sehr viel zeitsparender als endloser „Grabenkämpfe“ in den Kommentaren von Onlinemedien. Gefällt mir!
Freiheit
So unerträglich es erscheinen mag, aber Grundrechte gelten für jeden Bürger – auch für Rechtskonservative „Rechthaber“ und sogar „Gutmenschen“. Wer das schon nicht verstanden hat oder verstehen will, müsste eigentlich das Land verlassen und sich ein anderes System suchen. Schließlich möchte man ja das Volk und vor allem „Zugezogene“ auf die eigene „Leitkultur“ festlegen. Doch ein Bekenntnis zur Verfassungstreue gilt immer in beiden Richtungen. Oder in einem Satz von Rosa Luxemburg:
Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.
Der Volksmund sagt auch, dass die eigene Freiheit dort endet, wo die des Nächsten beginnt. Auf diesen zivilgesellschaftlichen Rahmen sollten wir uns schon einigen.
Meinungsfreiheit als Grundrecht für jeden
Dem entsprechend müssen wir es erst einmal hinnehmen, wenn sich Demonstranten verbal ein wenig daneben benehmen.
#Höcke so "Wir holen uns die Meinungsfreiheit zurück!", #AfD-Anhänger so: "Jaaaa, Lügenpresse aufs Maul" #Reizgas #Magdeburg #NoAfD #md2701
Doch im neuen rechtskonservativen Milieu hat man entweder Schlimmes vor oder diese Grundrechte nicht verstanden, wenn man ständig auf angebliche „Denk-“ oder „Meinungsverbote“ stößt. Solange eine öffentlich geäußerte Meinung nicht strafbar ist, muss die Gesellschaft sie dulden, gleich wie abscheulich sie ist. Es gibt keine „Denk-“ oder „Meinungsverbote“, sondern nur legal oder illegal.
„Ihr Opfer“
Wenn sich nun rechtskonservative Menschen, Bewegungen oder Parteien an solchen „Verboten“ stoßen, heißt das anscheinend, dass sie
- die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht verstanden haben,
- Dinge äußern möchten, die tatsächlich strafbar sind,
- oder sich in der Opferrolle sehen um den eigenen Anhängern ein Gemeinschaftsgefühl als „David gegen Goliath“ zu geben.
Der letzte Punkt ist eigentlich tragischerweise schon fast lustig, denn schließlich ist die Bezeichnung „du Opfer“ im Straßenjargon der Jugend eine Beleidigung. Beim Nachwuchs wird man mit dieser „neuen Weinerlichkeit“ also keinen Blumentopf gewinnen können. Wobei die Jugend ja eh schon fast verloren ist:
- Auto kein Statussymbol mehr
- Globalisierte Generation statt nationalistischer Nesthocker
- Männer, die sich als Feministen bezeichnen
- Frauen dürfen ohne Genehmigung des Ehepartners arbeiten
- Kinder können warten
- …
- Kurzum: Die 1950er sind vorbei!
„Meinungsverbot“ im „Faktencheck“
Dass bestimmte extreme Meinung in den moderierten Medien nicht so oft vorkommen, liegt in der Natur der Sache, denn Mehrheiten manifestieren sich nun nicht einmal darin, wer am lautesten schreit. Und trotzdem kommen extreme, andere, abweichende Meinungen in den Medien vor, von einer „Unterdrückung“ kann kaum eine Rede sein. Dem entsprechend schrieb Nordhessische.de vorhin auf Twitter:
Fast jeden Tag #AfD in einer Talkshow - soviel zur "unterdrückten Meinung". Das wird man doch wohl noch tweeten dürfen.
Politische Bildung
Genau das ist die Quintessenz der Beobachtungen: Die politische Bildung von Erwachsenen lässt in Deutschland zu wünschen übrig. Denn im Grunde werden hauptsächlich Vorurteile aufgewärmt, die eigentlich in Gemeinschaftskunde thematisiert worden sind; die Medienkompetenz (Quellenkritik!) ist nicht stark ausgeprägt. Genau daran muss unsere Gesellschaft, um Alternativen zur Dummheit anzubieten.