Anti-Terror-Déjà-vu
Abstract

Jedes Mal, wenn etwas passiert, was möglicherweise ein Terroranschlag sein könnte, kann das gleiche Schauspiel beobachtet werden: Die hungrige Meute hetzt sich in den sozialen Netzen gegenseitig auf und macht unbezahlte PR für den Terror. Und im Anschluss setzen Sicherheitspolitiker eine Intention des Terrors in die Tat um: die Einschränkung der Freiheit.
Choreografie
Zumindest seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 folgt das mediale Spektakel einer fast immer gleichen Choreografie:
- Ersten Berichten zu Folge ist etwas größeres, spektakuläres passiert.
- Während vor Ort ermittelt und verarztet wird, warten Medien in Eilmeldungs-Endlosschleifen auf neue Details.
- Dem Internetnutzer reicht das nicht, also werden die wildesten Spekulationen aufgestellt – und ganz wichtig: Die digitale Meute glaubt zu diesem Zeitpunkt bereits die Tätergruppe zu kennen.
- Neue Hinweise zu Tat und Umständen werden ebenso wie abweichende Meinung mit dem eigenen Weltbild verglichen, Abweichungen davon sind „Fake News“ von „Gutmenschen“, die „die Wahrheit“ nicht sehen wollen. Das eigene Narrativ wird mit Händen und Klauen verteidigt, denn schließlich weiß man aus der Entfernung mit Zugriff auf eine Vielzahl ungeprüfter Quellen alles besser.
- Nach der Polizeipressekonferenz am nächsten Tag weiß man tatsächlich mehr: Der Täter war bereits bekannt.
- Während die einen „es schon gleich gewusst haben“, wird politisch diskutiert, welche Grundrechte eingeschränkt werden müssen – unabhängig davon, ob und welche Freiheiten der Täter ausgenutzt haben könnte.

Als freiheitlich denkender Anhänger eines funktionierenden Rechtsstaats ist es pure Zeitverschwendung sich mit Thesen und „Was-wir-wissen-Sendungen“ zu beschäftigen. Man sollte lieber etwas Sinnvolles machen, wie Gartenarbeit oder Sport.
Die Arbeit der Anderen
Aufmerksamkeitsökonomie
Kaum, dass Details zu einem Anschlag oder einem Amok bekannt werden steigert sich das Spekulieren und die Hysterie ins Unermessliche. Dank Smartphones sind „Webcams“ mittlerweile allgegenwärtig, das garantiert einem Täter unmittelbar maximale globale Aufmerksamkeit. Während eine Rote Armee Fraktion noch Pamphlete an die Presse schicken musste, ist der Irre von heute automatisch auf Sendung. Aufmerksamkeit ist die Währung dieser Tage.
Nur: Warum tun wir dem Terror den Gefallen, schenken die Aufmerksamkeit, um dann davon eingeschüchtert zu werden? Der Terror hat unsere Aufmerksamkeit in dieser Ausführlichkeit nicht verdient. Der Hauptzweck von Terror und Amok ist hinfällig, wenn „wir alle Berlin sind: maximal unbeeindruckt“. Mit den Worten des Nachrichtenmagazins Der Spiegel: Der Terror wird verlieren.

Einschränkung der Freiheit
Populär ist auch auf Terror oder Amok mit Forderungen zur Einschränkung der Freiheit zu reagieren. Dabei sollen oft genug elementare Grundrechte bis an die Belastungsgrenze verbogen werden. Mit anderen Worten: Auf die Gefährdung der Freiheit von außen soll sie von innen eingeschränkt werden. Das ist paradox und erinnert an einen Asterix-Comic: Die Piraten versenken ihr Schiff, damit es nicht die Gallier tun.
Mit anderen Worten: Terror soll das freiheitliche Leben bedrohen, deshalb sollte die Gegenmaßnahme nicht die Abschaffung von Freiheit sein. Man muss dem Terror nicht auch diese Arbeit abnehmen.
Lebensrisiken
Das ist ein Punkt, mit dem man bei einem Teil der Terror-hysterischen Meute stark aneckt: der Vergleich verschiedener – vor allem vermeidbarerer – Lebensrisiken. Der Verweis auf die Wahrscheinlichkeit verschiedener Gefahren für die eigene Gesundheit wird als „Relativierung“ abgetan.
Dabei geht es nicht darum, bestimmte Dinge weg zu diskutieren, sondern in ein vernünftiges Verhältnis setzen. Denn realistisch betrachtet ist es äußerst unwahrscheinlich Opfer eines Terroranschlags zu werden. Daher ist die Angst davor vollkommen irrational – und genau diese Angst ist es, die Terroristen schüren wollen, das ist der Terror.
Betrachtet man also seine Umwelt realistisch, verliert der Terror seinen Schrecken und damit sein Wesen.

Natürlich wird auch das Widerspruch hervorrufen, daher ein praktisches Beispiel aus dem Lonely Planet Reiseführer für die australische Ostküste: Da Australien für seine giftigen und gefährlichen Tiere bekannt ist, enthält der Reiseführer eine Doppelseite zu Safety and Security. Dort sind die gefährlichsten Tiere mit Vorkommen kurz beschrieben – inklusive der durchschnittlichen Anzahl an tödlichen Zwischenfällen. Unabhängig vom Tier – ob Hai, Qualle, Spinne, Krokodil, Schlange, … – beträgt diese Zahl eins bis zehn.
Nach diesen Hinweisen, die die Aufmerksamkeit für das „Überleben in der Wildniss“ schärfen, weist der Lonely Planet dezent darauf hin, wie viele ordinäre Bade- (mehrere hundert) oder Straßenunfälle (wenige tausend) es jedes Jahr in Australien gibt: However, it is more likely to die on the street.
Damit ist dann selbst „das Land mit den giftigsten Tieren der Welt“ auch nicht sehr viel mehr als Industrieland.

Vielleicht ist es nicht gut, dass alle „wilden Tiere“ in Europa ausgerottet sind und es daher keine richtigen natürlichen Gefahren mehr gibt …