Abstract
Bei einer Radtour im Elsass und der Südpfalz sowie einer anschließenden Wanderung zum Hambacher Schloss kann man viel über die europäische Geschichte lernen – und was diese mit einer Bundesrepublik Deutschland, einem vereinten Europa sowie einem positiven Heimatsbegriff zu tun hat.
Rad- und Wandern durch die Südpfalz
Ausgangspunkt dieses Artikels und der Fahrradtour war Wissembourg, diese Stadt im Elsass, an der deutschen Grenze und in einer Gegend gelegen, in der heute französische Orte deutsche Namen tragen und deutsche Orte französische, in der auf den ersten Blick hauptsächlich die Beschilderung den nationalen Unterschied ausmacht und ehemalige Grenzstationen zum Teil recht unscheinbar daherkommen.
Grenzenlos
Ein Europa ohne Grenzen, wie es die Europäische Union und das Schengener Abkommen garantieren, sind hier gelebter Alltag. Das ist nicht nur für den Tagestouristen auf dem Fahrrad praktisch – mit dem Zug ohne Umsteigen und innerhalb des Verbundgebiets ins Nachbarland, dort einen Kaffee (ohne Zucker) trinken und dann mit dem Fahrrad einfach losfahren – sondern auch für die dort lebenden Menschen und Unternehmen – in Wissembourg gibt es einen Supermarkt einer deutschen Kette, in Schweigen essen Franzosen und Deutsche gemeinsam an einem pfälzer Imbiss. Landschaftlich und architektonisch gibt es auch kaum einen Unterschied zwischen beiden Ländern.
Einige Kilometer von der „Grenze“ entfernt, tiefer in Deutschland, stolpert man hingegen über einen längst überwundenen, gleichwohl immer noch existierenden Rest einer früheren Grenze: In Steinfeld sind Höckerlinien des Westwalls (Grenzbefestigung im Dritten Reich) sowie der Weißenburger Linien (Elsässer Verteidigungslinien im Spanischen Erbfolgekrieg Anfang des 18. Jahrhunderts) erhalten. Genau wie etliche der Bunker entlang der „Siegfriedslinie“ sind auch diese Panzersperren aus Beton gedacht zu widerstehen – und so durchziehen sie noch heute die Felder und zum Teil sogar Gärten in der damaligen Roten Zone.
Weiter in Richtung Rhein landet man in Germersheim, dessen Altstadt noch heute zum Teil von Anlagen der ehemaligen Festung umgeben ist. Den „Grundstein“ für ein befestigtes Germersheim legten die Franzosen, die Bayern bauten darauf auf, im Deutschen Reich nach 1870/-71 wurden Teile zur Stadtentwicklung abgebrochen und nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Festung gemäß des Versailler Vertrags geschleift.
Frankreich – Deutschland – Europa
Ob die oben erwähnte französisch-deutsche Grenze bei Wissembourg, die Geschichte der Festung Germersheim, die früheren Grenz- und Verteidigungslinien – das Elsass und die Südpfalz sind eine Gegend, an der die bewegte europäische Geschichte an einzelnen Orten erfahren werden kann. Ein weiterer Ort befindet sich nördlich von Wissembourg an der Weinstraße: Das Hambacher Schloss bei Neustadt. Hier trafen sich 1832 zwischen 25000 und 30000 Franzosen, Polen und Deutsche zum Hambacher Fest – einem historischen Ereignis der Demokratiebewegung in einem gemeinsamen Europa, zu einer Zeit, als selbst Deutschland noch kein Nationalstaat war.
Auf dem linken Foto ist ein Banner zu sehen, was den Kontext der verschiedenen Flaggen – das europäische Sternenbanner sowie die Flaggen von Frankreich, Polen und Deutschland – mit den Worten von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier herstellt:
Die Menschen auf dem Hambacher Fest demonstrierten für die nationale Einheit Deutschlands. Aber sie waren keine Nationalisten, die sich gegen andere Nationen stellten.
Im Gegenteil: Sie forderten ein konförderiertes republikanisches Europa mit Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit und Gleichberechtigung für Frauen.
Das Hambacher Fest war direkt nicht erfolgreich, es gab danach noch 1848 eine Märzrevolution, aber die Ziele des Hambacher Fests brauchten danach noch 150 Jahre bis sie größtenteils etabliert worden sind – zu einhundert Prozent sind sie selbst heute noch nicht erreicht und müssen täglich verteidigt werden.
Einheit und Freiheit
… nicht nur für das deutsche Vaterland
, wie es in der deutschen Nationalhymne heißt, sondern für ganz Europa – das findet man überall im französisch-deutschen Gebiet Elsass-Pfalz. Grundlage dafür ist auch ein vereintes Deutschland, wie es 1832 mit den genannten Grundwerten propagiert worden ist. Die deutsche Nationalflagge Schwarz-Rot-Gold ist Ausdruck dieses geeinten, freiheitlichen, brüderlichen Deutschlands als Rechtsstaat, wie es in der dritten Strophe des Liedes der Deutschen besungen wird. (Auch die erste Strophe kann in diesem Kontext verstanden werden: Ein geeintes Deutschland als Nationalstaat über den Kleinstaaten.)
Umso erstaunlicher – oder perfider – ist es, dass Nationalisten diese Symbole – ein geeintes Deutschland der ganzen Welt überstülpen wollen, mit dem deutschen „Dreifarb“ lediglich die deutsche Abstammung meinen oder die Nationalhymne zur Ausgrenzung Anderer singen – missbrauchen um die damit ausgedrückten Ziele zu negieren und den historischen europäischen Kontext unterschlagen, um für ihre Trutzburg auch noch den Begriff der Heimat zu vergewaltigen. Das haben sie – allerdings – unter anderer – schwarz-weiß-roter – Flagge und anderer Hymne so erfolgreich getan, dass Deutschland ein merkwüdig ambivalentes Verhältnis zu diesen Symbolen hat, weil die ursprüngliche Bedeutung in zwei Weltkriegen unter Beschuss geraten ist.
Wenn man von Diedesfeld aus den Weg zum Hambacher Schloss (Geo-Koordinaten) nimmt, stößt man oberhalb des Ortes auf einen engen, steilen und steinigen Weg durch den Wald hoch zum Schloss. Wie passend – wenn man den historischen Kontext des Schlosses und der Region wie in diesem Text betrachtet – heißt dieser anspruchsvolle Weg Freiheitspfad. Aus Sicht des politischen Wanderers, des freiheitlich-demokratischen Bürgers, symbolisiert dieser Pfad, dass Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Einheit kein „Sonntagsspaziergang“ (durch die Reben), sondern mit Anstrengung verbunden sind – etwas, was einen nicht passiert, sondern wonach es sich lohnt zu streben. Und der Ort, für den man nach diesen Werten strebt, ist die Heimat.