„Ich sitze gerade im Zuuhuug!“ – Handys im Alltag
Abstract
Das handliche Telefon („Handy“), die tragbare Telefonzelle („cell phone“) ist eine tolle Erfindung: Man ist „immer, überall und auf jeden Fall“ erreichbar, sei es „gerade in der Straßenbahn“, „in der Umkleide“, „gerade nicht zu Hause“, „auf dem Fahrrad“ oder „gerade im Zuuhuuug“ sitzend wie Urban Priol. Dummerweise hat man, wie man sieht, immer „gerade keine Zeit“ oder es ist „im Moment eher ungünstig“, wenn das Telefon klingelt und vibriert.
Da stellt sich die berechtigte Frage, warum man diesen ehemals Backstein großen Klotz zukünftigen Elektroschrotts mit sich herumschleppt. Zugegeben, das Mobiltelefon verheißt mehr Privatsphäre für den Angerufenen: Um erreichbar zu sein, braucht man nicht seine Durchwahl der Aufenthaltsorte durchzugeben, Standort und Telefon sind im Gegensatz zum Festnetzgerät voneinander entkoppelt. Telefonieren und neuerdings auch „Simsen“ kann man mit letzterem ebenfalls. Zugegeben: In Zeiten von Vorratsdatenspeicherung und GPS-Tracking gibt man diese Privatsphäre allerdings gleich wieder auf.
Zudem wird man gedrängt, alle 24 Monate eine neue Zelle anzuschaffen. Das ist jene „Leasingrate“ zur Finanzierung des „technischen Fortschritts“, ohne die die Entwicklung neuer Geräte nicht möglich wäre – ein teufelskreisendes Perpetuum Mobile. Demgegenüber dürfte ein flächendeckendes Netz echter Telefonzellen eine effizientere Resourcenallokation darstellen. Aber auch die allgemeine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist effizienter als die allgemeine Individualmotorisierung, und trotzdem will keiner auf seine gut vier Meter langen rund 1,3 Tonnen Blech um sich herum verzichten.
Teufelskreis durchbrechen
Der oben skizzierte Teufelskreis lässt sich auf hinterlistige Weise durchbrechen, mit verheerenden Folgen für die Hersteller der „Elektro-Backsteine“: Gerade ältere, aber auch einige aktuelle Modelle, halten inklusive der Akkus im Grunde länger als die zwei Jahre Vertragslaufzeit, in der man die Gerätekosten abstottert. (Gleichgültig ob Vertrag oder Prepaid – bei einem geringen bis durchschnittlichen Telefonierverhalten hat man nach den zwei Jahren das Gerät bezahlt. Wer es nicht glaubt, rechnet einfach einmal nach.) Das teufelskreisende Perpetuum Mobile des „technischen Fortschritts“ bleibt allerdings nur dann in Bewegung, wenn der Kunde regelmäßig beim Vertragwechsel, -update oder -verlängerung ein neues Gerät beschafft. Hier hat die Mindestvertragslaufzeit echte Vorteile: Der Kunde hat ein Telefon, das garantiert so lange hält, der Telekommunikationsanbieter den Kunden gebunden und der Handy-Hersteller nach der Zeit einen garantierten Absatz eines neuen Geräts. Als Fazit muss man also das Telefon länger als zwei Jahre nutzen – sofern die Haltbarkeit das hergibt, was der springende Knackpunkt sein dürfte.
Alternativ kann man sich natürlich auch den Luxus der Nichterreichbarkeit leisten, ein befreiendes Gefühl vollkommener Dekadenz.
Robert Bienert