Nordhessische … Umfrage: Gefühlte und tatsächliche (Un-) Sicherheit in der Tram

Umfrage: Gefühlte und tatsächliche (Un-) Sicherheit in der Tram

Abstract

Kassel (rd/rb) – Seit längerer Zeit schon fährt an den Wochenenden Personal eines stadtbekannten Sicherheitsunternehmens in den Straßenbahnen mit, um dort für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Nordhessische.de hat im Rahmen des Themensommers „Sichere Stadt“ eine Redaktionsumfrage über das Sicherheitsgefühl in der Bahn durchgeführt. Das Ergebnis: 100%ig wohl und sicher fühlt sich kein Redaktionsmitglied – auch wegen des Sicherheitspersonals und der Kameraüberwachung an Bord. Die KVG hingegen vermeldet weniger Vandalismus Dank der Kameras.

Obwohl ein Großteil der befragten Personen gerne mit der „großen Kasseler Straßenbahn“ fährt, weil sie „zumindest tagsüber flexibel“ fährt und die Parkplatzsuche entfällt, kann jeder Momente und Zeiten nennen, an denen er sich in der Bahn unwohl fühlt: Angefangen bei der fehlenden Klimatisierung, die nur in den RegioTrams geboten wird, wird recht schnell das „extrem mürrische und die Fahrgäste oft unfreundlich abkanzelnde“ Auftreten der Kontrolleure kritisiert – Zitat:

Ich fühle mich bei Fahrkartenkontrollen – nicht weil ich Schwarz fahre, sondern weil ich während meiner gesamten öffentlichen Nahverkehrs"karriere" der letzten 20 Jahre sehr oft kontrolliert wurde und die Fälle, bei denen das Vorzeigen der Fahrkarte in einigermaßen normalen Umgangston vonstatten ging an einer Hand abzählen kann – unwohl.

Problematisch werden von den Befragten besonders die Nachtstunden mit „viel besoffenem Partyvolk“ sowie die Bahnen nach Spielen des KSV Hessen Kassel oder der Kassel Huskies genannt: „Es wird vor und nach den Begegnungen manchmal ziemlich eng, laut und unangenehm in den Bahnen in der Frankfurter Straße.“

Fast Alltag: Brenzlige Situationen

Die Frage, ob schon einmal brenzlige Situationen in der Bahn erlebt worden sind, bejahten fast alle Befragten und gaben konkrete Beispiel: „Diverse“ – oder ausführlicher:

Diejenigen, die die Situationen brenzlig gemacht haben, waren mal Drogenabhängige, mal Neonazis, mal – dem Aussehen nach zu urteilen – Jugendliche mit Migrationshintergrund, mal Hundebesitzer und mal Kontrolleure in Uniform, die sich wie Schläger aufgeführt haben.

Auffallend: Wieder werden auch Kontrolleure genannt, die doch eigentlich für Recht und Ordnung in den Bahnen sorgen sollen.

Abhilfe: Zivilcourage

Obwohl die Trams ab und zu „auf heißem Pflaster fahren“, gab die Mehrheit der befragten regelmäßigen ÖPNV-Benutzer an, in solch brenzligen Situationen mit Zivilcourage zu reagieren. In den meisten Fällen bedeutete dies, Streit zu schlichten, wobei es auch schon vorkam, dass ein Befragter betrunkene Randalierer praktisch aus der Bahn verwiesen hat. Besonders krass ist die Schilderung eines anderen Redaktionsmitglieds, welches bereits mehrfach gewalttätige Auseinandersetzungen oder unkontrollierbare Tiere in der Bahn erlebt hat – „am hellichten Tage mitten in der Stadt“, dann, wenn kein Sicherheitspersonal unterwegs ist. Interessant daran: „In diesem Fall habe ich die Polizei gerufen. Ein Beamter zog später sogar seine Pistole, weil er befürchtete, das offenbar ziemlich vollgedröhnte Frauchen habe den Hund nicht mehr unter Kontrolle.“

Viedoüberwachung: Fluch oder Segen?

Nach KVG-Angaben sind aktuell in allen RegioTrams, jeder zweiten Straßenbahn sowie an neun Haltestellen Videokameras installiert. Die Kameras in den Fahrzeugen dienen dabei laut KVG dem „Schutz von Menschen und von Eigentum“ und zeichnen die Daten für 24 Stunden auf. Die an den Haltestellen aufgenommenen Bildern werden hingegen direkt in die Leitstelle übertragen, wo Mitarbeiter vor den Monitoren sitzen. Diese Kameras dienen zusätzlich auch der Verkehrsüberwachung, um z.B. Anschlüsse sicherzustellen. Nach eigenen Angaben haben 2008 die Kosten zur Beseitigung von Vandalismusschäden in videoüberwachten Fahrzeugen zugenommen, an den Haltestellen abgenommen. Genaue Zahlen für 2009 liegen dem Verkehrsunternehmen bislang nicht vor, allerdings zeige die Tendenz eine Abnahme der Schäden.

Wir haben dazu in der Redaktion die Frage gestellt, ob die Überwachungskameras in den Bahnen das subjektive Sicherheitsempfinden verbessern. Bis auf ein Redaktionsmitglied, dass sich einen abschreckenden Effekt auf Grund des Hinweises vorstellen kann, verneinen alle anderen Redakteure diese Frage. Generell wird befürchtet, dass durch den Hinweis auf die Überwachung die Zivilcourage der Fahrgäste abnimmt, nach dem Motto „Was soll ich mich da jetzt einmischen, die KVG hat eh alles auf Videoband.“ Zudem weisen die Befragten darauf hin, dass „Wenn ich angegriffen werde oder jemand eine Bahn beschädigt, kann man mit den Kameras lediglich die Tat vielleicht leichter aufklären, aber man kann sie nicht verhindern.“ – „Aber dann fehlen mir die Zähne im Zweifel schon.“ Auch bekäme der Fahrgast eine neue Rolle: „Neu hinzu kommt allerdings die Verantwortung, den Aufpasser zu kontrollieren.“

(Un-) Sicherheitspersonal an den Wochenenden?

Seit längerer Zeit schon fährt an den Wochenenden Personal eines stadtbekannten Sicherheitsunternehmens in den Straßenbahnen mit, um dort für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Wie kommt dies bei den Fahrgästen an? „Ich fühle mich eher unwohl und beobachtet“ – diese Meinung wird von allen Befragten geteilt. Die Gründe sind vielfältig und hängen hauptsächlich mit dem Auftreten der Leute und der Intransparenz ihrer Kompetenzen zusammen: Die Fahrgäste wünschen sich von der KVG mehr Informationen darüber, weshalb das Sicherheitspersonal mitfährt, ob es gut ausgebildet ist und wie es im Notfall eingreift.

Fazit: Abwägung zwischen Sicherheit und freier Entfaltung

Es ist oben bereits angeklungen: „Ich fühle mich beobachtet“. Wir haben den Überwachungs- und Sicherheitsmaßnahmen im ÖPNV auf den Zahn gefühlt und sie hinsichtlich der Konvergenz mit dem so genannten „Volkszählungsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts von 1983 überprüft. Dort heißt es im viel zitierten Abschnitt C II:

Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. […] Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.

Wir haben auch die KVG dazu befragt, ob sie die Videoüberwachung konform zum „Volkszählungsurteil“ sieht oder ob auch für das Verkehrsunternehmen Konflikte zum Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung erkennbar sind: „Es besteht kein Konflikt.“ Als Begründung heißt es, dass die Überwachungsmaßnahmen nach den Vorgaben des Hessischen Datenschutzbeauftragten eingesetzt werden. Zudem dienten die Kameras „dem Schutz von Menschen (das Recht auf körperliche Unversehrtheit) und von Eigentum. Die KVG ist ein Unternehmen im Besitz der Stadt und somit ist ihr Eigentum letztlich das Eigentum der Kasseler Bürger.“

Einige der von uns befragten Redaktionsmitglieder sind da allerdings anderer Meinung: Sie geben unisono an, ihr Verhalten habe sich auf Grund der Sicherheitsmaßnahmen verändert – oder gerade nicht, „Da ich mich regelkonform verhalte - Nein.“ Die Befragten verspüren den Druck, sich gemäß bestimmter gesellschaftlicher Codizes zu verhalten und nicht nach ihrer freien Entfaltung. Das ist genau der Punkt im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit, auf dem das Bundesverfassung sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung begründet. Ein Redaktionsmitglied spricht außerdem einen sehr wichtigen Punkt in der Diskussion über Videoüberwachung des öffentlichen Raums an:

Letztlich aber bedeutet die technologische Überwachung und Kontrolle öffentlicher Räume immer auch ein Versagen gesellschaftlicher, sozialer Kontrollinstanzen – und das ist ein Armutszeugnis für uns alle.