Abstract
Wie lernt man eine Stadt kennen? Mit Sicherheit nicht vom Auto aus oder per „Blindflug“ via Karten-App, sondern in gemächlichem Tempo mit offenen Augen – wie zu Fuß oder auf dem Fahrrad. Die Geschwindigkeit lässt sich mit einer Kamera in der Hand noch weiter drosseln – und damit das Erfahren, Spüren intensivieren. Ein nächtlicher Streifzug durch Mannheim nördlich der Quadrate.
Flachland, Strand, Hafen
Mannheim liegt in der Rheinebene an der Mündung des Neckars in den Rhein und daher sozusagen „im Flachland“. Doch auch wenn das Hafengebiet durchaus nach Meer aussieht und es zuvor am Neckar einen langen „Strand“ gibt, fehlt der typische Geruch von Salz in der Luft und die Möwen. Stattdessen gibt es Kakao und Sittiche und das Gelb am Neckarufer ist die verdorrte Wiese im Sommer 2018. Romantisch sieht es im Sonnenuntergang trotzdem aus.
Diese Sonnenuntergänge über der Neckarstadt-West sowie dem Jungbusch sind vielleicht ein weiterer Grund, warum diese Stadtteile so beliebt sind – neben der „kreativen Szene“, der „Subkultur“ und der vielen Altbauten. So sind diese Stadtteile auch von Gentrifizierung bedroht. Dazwischen finden sich in der Nähe der Kurpfalzbrücke auch „brutale“ Zeugnisse der betongewordenen Nachkriegsarchitektur – sprich des Baustils Brutalismus.
Brutalismus
Schwenkt der Blick weiter in Richtung Südwesten, befindet sich gegenüber des Ensembles der Neckaruferbebauung Nord das nächste brutalistische Gebäude: Das Collini-Center, ein Zentrum verschiedener Einrichtungen am Neckarufer in Beton gegossen und durch eine eigene Brücke mit der Neckarstadt-Ost verbunden. Dahinter hat man als weiteres Zeichen des Nachkriegsbetons den Fernmeldeturm aufgestellt – interessanter Weise in Sichtweite zum lokalen Radiosender bermuda.funk.
Der Baustil Brutalismus ist durchaus interessant: Einerseits wirken die Bauwerke modern, andererseits auch (zu) wuchtig. Ästhetisch sind sie trotzdem, wie u. a. die Fotos des Twitter-Accounts This Brutal House zeigen.
(k)eine Brücke
Das brutalistische Ensemble am Mannheimer Neckarufer wird durch den Collini-Steg miteinander verbunden, eine weiß getünchte und beleuchtete Betonbrücke über den Fluß. Während es auf Seite der Neckarstadt eine Auffahrtsrampe gibt, die sich bequem mit dem Fahrrad nehmen lässt, endet der Steg direkt vor der Eingngstür ins Collini-Center. So steht denn der Radfahrer nachts dort vor verschlossener Tür, hat Zeit zum Fotografieren, bevor er sein Rad die Treppe hinunter zur Straßenbahn tragen muss. Für ihn ist diese Brücke keine Verbindung.
Eine „ähnliche Brückensituation“, das heißt eine Brücke, die zum Teil ihrer Funktion beraubt worden ist, findet sich auch an der Kurpfalzbrücke: Hier sind einige Durchgänge abgesperrt – wobei auch die noch existierenden Gänge vom Geruch her eher zur Toilette anstatt zum Gehen einladen. Als ehemaliger Kasseler muss man dann feststellen, dass benutzbare Unterführungen doch mehr Pop sind und Künstler einer Kunsthochschule anlocken als eine quadratisch-praktische Stadt mit Popakademie. Oder man schaut sich die andere Residenzstadt in der Nähe an, deren Kunst zwar technischer, aber auch Pop ist.