Abstract
Ein regelmäßiges Thema im postkulturellen Diskurs ist geschlechtergerechte Sprache bzw. Gendern. Dabei geht es weniger um die Frage, ob und wie der Glottisschlag (← da ist auch einer enthalten) verwendet und textuell ausgezeichnet wird, sondern viel mehr über das ob überhaupt. Ironischerweise sind es dabei gerade die Gegner geschlechtergerechter Sprache, die hier mit der Forderung nach Sprachverboten und -Normen die sprachliche Freiheit einschränken (möchten).
Der Glottisschlag bzw. Glottaler Plosiv
Wikipedia erklärt den Glottalen Plosiv sehr ausführlich und auch im historischen Kontext: So wird dieser stimmlose Konsonant nicht nur in geschlechtergerechter Sprache verwendet, sondern kommt auch verschiedenen Schriftsystemen zum Teil seit längerer Zeit vor. Das Zeichen an sich ist also nichts Neues und hat dementsprechend schon seit längerem einen Unicode im Block IPA-Erweiterungen: ʔ (hexadezimal x0294).
Auch in der deutschen (Aus-) Sprache gibt es den Glottisschlag und er ist hier nichts Besonderes in Worten wie
- Glottisʔschlag
- erʔinnern
- verʔeinen
- Hebʔamme
In der geschlechtergerechten Sprache wird der Laut laut Wikipedia seit den 1980er Jahren verwendet in den Formen mit Binnen-I: LeserʔInnen sowie in den neueren Formen mit Genderstern, -Doppelpunkt oder „Gender-Gap“: Leser*innen, Leser:innen, Leser_innen als Leserʔinnen. Aufschlussreich ist dabei der Wikipedia-Artikel zum Gendersternchen hinsichtlich der verschiedenen Aspekte des Zeichens.
Freiheit zu Gendern
Literatur
Unabhängig von der Frage des/der richtigen Zeichen und deren Darstellung im Text ist die Frage des Ob zu betrachten. Prinzipiell ist die Verwendung geschlechtergerechter Sprache und Gendern von der sprachlichen Freiheit der Autoren gedeckt. Und diese Freiheit an sich wird insbesondere bei Literatur, Glossen, Kolumne, … als Kultur verteidigt. Wer wird sich auch schon anmaßen das Werk von Autor*innen wie Ernst Jandl in Frage zu stellen?
Und genau mit dieser sprachlichen Freiheit beschäftigt man sich auch im Deutschunterricht der Schule – und jetzt soll diese Freiheit eingeschränkt werden, indem Gendern untersagt wird (z. B. in sächsischen Schulbüchern). Ausgerechnet die, die sonst von „Sprechverboten“ reden, verbieten hier Sprache. Wo sind hier die Verteidiger der Freiheit? Ganz abgesehen davon ist Gendern objektiv auch eine sprachliche Realität und es tut niemandem weh diese Realität auch abzubilden. Es geht ja nicht darum extra fürs Gendern Schulbücher neu zu drucken.
In den Medien
Besonders interessant ist die Forderung Gendern zu unterlassen in Bezug auf die Medien. Während die sprachliche Freiheit im Feuilleton (← wer kann das denn eigentlich fehlerfrei schreiben ohne nachzuschlagen?) noch „erlaubt“ ist, hat es in den anderen Teilen doch bitte nichts zu suchen. Ironischerweise kommt diese Forderung unter anderem von denjenigen, die es in Bezug auf die Rechtschreibung nicht so genau nehmen und weiterhin der „alten Rechtschreibung“ frönen anstatt die „neue“ Rechtschreibung (gültig seit 1996) anzuwenden. Hier ist dann plötzlich Freiheit erlaubt. Konservativismus, der konservativ als „Bewahrung des Guten“ definiert, müsste hier natürlich einsehen, dass z. B. die Regeln rund um das ẞ (← ja, das ist das große) oder Begriffe wie Stängel von Stange die Sprache erleichtern und damit verbessern.
Ein „Genderverbot“ in den Medien ist weiterhin der konkrete Versuch auf das Programm Einfluss zu nehmen, indem zwar nicht vorgeschrieben wird, was, aber immerhin wie berichtet werden sollte. Das ist natürlich das komplette Gegenteil von einer unabhängigen Berichterstattung. Vom freiheitlichen und pluralistischen Standpunkt ist jegliche Einmischung in das Programm allerdings abzulehnen.
Und auch hier gibt es ein „Ironischerweise“: Am Gendern im privaten Rundfunk oder in der Werbung scheint man sich kaum zu stören …