Kino-Kritik: Happy-Go-Lucky im Open-Air-Kino
Abstract
Zum (mit rund 20 Filmfreunden spärlich besetzten) Auftakt des diesjährigen Open-Air-Kinos wurde die englische Komödie »Happy-Go-Lucky« vorgeführt. Diesen Film muss man mehrfach gesehen haben, damit sich dem Zuschauer alle Facetten offenbaren. Die Handlung der Geschichte ist nämlich nicht bloß „eine 30-jährige Grundschullehrerin steckt mit ihrer Fröhlichkeit ihre Umwelt an“.
Zudem benötigt der Film etwas Zeit, bis der Zuschauer die Tiefe der Charaktere, insbesondere der Protagonistin erkennt. Wer stattdessen nur behauptet, dass es „um eine 30-jährige Grundschullehrerin, die alle mit ihrer Fröhlichkeit ansteckt“, geht, kratzt lediglich an der Oberfläche dieser schön in Szene gesetzten Geschichte. Stattdessen hält Pauline, genannt „Poppy“, unfreiwilig ihrer Umwelt den Spiegel vor. Natürlich geht sie leichtfüßig („happy-go-lucky“) durchs Leben, was ihrer hochschwangeren Schwester mit dem frischen Eigenheim oder ihrem Fahrlehrer missfällt: Sie solle endlich erwachsen werden und Verantwortung übernehmen – gerade letzter Vorwurf mutet merkwürdig an, schließlich ist die Frau Lehrerin. Dahinter steckt allerdings viel mehr der Anspruch dieser Personen an sich selbst – und was sie bis dato nicht geschafft haben. Im Gegensatz zu Poppy, die sich und ihrem Leben nichts vorzuwerfen hat, sind diese Personen hochgradig mit ihren Leben unzufrieden: Ihre Schwester sieht angesichts der bevorstehenden Geburt des ersten Kindes, hübsch eingerichtet in einem geschmackvollen wie sterilen Haus, schon das Ende der Juvenilität kommen – auch ihr Mann merkt dies beim versuchten „Zocken mit der Playstation“. Und ihr Fahrlehrer Scott, der Poppy ebenfalls vehement auffordert, „endlich Verantwortung zu übernehmen“ und mit offenen Augen durchs Leben zu gehen, schwelgt in Verschwörungstheorien und zeigt latenten Rassismus.
„Oberflächliche Kritiken“
Diese Sichtweise auf die Geschichte bleibt dem Zuschauer beim ersten Schauen des Films allerdings verborgen, hat er nur die unsäglichen Kritiken (weil oberflächlichen) über „über die 30-jährige Grundschullehrerin, die mit ihrer Leichtfüßigkeit ihre Umwelt ansteckt“, studiert. Daher war es dieser Film wert, einen Sommer später noch einmal gesehen zu werden, um die Vielschichtigkeit der Charaktere zu entdecken. Die gleiche Idee hatten allerdings lediglich rund 20 andere Filmfreunde – viel Platz beim Auftakt des Open-Air-Kinos.
Würden sie dieser Frau ihre Kinder anvertrauen?
Auch stellt sich die Frage, wie wir (als „sture Nordhessen“) mit einer Person wie Poppy umgingen. Ließen wir uns von ihrer Fröhlichkeit anstecken, das Leben so zu sehen, wie es ist, und nicht wie wir es gerne hätten? Würden wir dieser Frau, die mir ihren Freundinnen feucht-fröhliche Nächte in lauten Clubs verbringt, ihr Dekolleté mit Steaks pusht, unsere Kinder anvertrauen? Gerade wegen ihres Umgangs mit der Welt, ihrem Blick für das Schöne und der „Leichtigkeit des Seins“, Neugier und Verantwortung, sollten wir unsere Kindern zu Lehrerinnen wie Ms. Cross in den Unterricht schicken. Dort dürften sie einiges über und für das Leben lernen. Und zum Erwachsen-Werden ist noch Zeit – besonders als Grundschullehrerin.
Robert Bienert