Jan Böhmermanns „Aprilscherz“
Abstract
Der Rundfunkmoderator Jan Böhmermann, bislang einem eher kleinen Publikum durch seine Sendungen Schulz und Böhmermann, Sanft und Sorgfältig sowie Neo Magazin Royale bekannt, hat es mit wenigen Minuten Sendezeit einen Tag vor dem ersten April geschafft, einen riesigen medialen und politischen Rummel zwischen Brüssel (EU), Köln (Produktion der Sendung), Mainz (ZDF-Sitz), Berlin (deutscher Regierungssitz) und Ankara (türkischer Regierungssitz) zu entfachen. Er hatte im Neo Magazin am 31.03. den Fernsehzuschauern des Spartenkanals ZDFneo sowie dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan die Grenzen der Satire in Deutschland erläutert und ausgelotet. Böhmermann hatte mit seinem Sidekick Ralf Kabelka die rechtlichen Hintergründe und möglichen Folgen eines „Grenzübertritts“ diskutiert und anschließend eine „Schmähkritik“ als Gedicht vorgetragen – mit dem Hinweis, dass so etwas in Deutschland nicht erlaubt sei. Hintergrund war der Versuch Erdoğans auf die deutsche Politik einzuwirken, um gegen ein Lied des NDR-Satiremagazins extra 3 vorzugehen.
Medialer Rummel
Obwohl die Sendung bereits vor fast zwei Wochen ausgestrahlt worden ist, baute sich der öffentliche Diskurs erst langsam, aber stetig auf. Am 1. April war nur bekannt, dass der Mitschnitt des Neo Magazins wegen eines unpassenden Beitrags gekürzt in der ZDF-Mediathek zu finden sei. Die genauen Hintergründe lagen im Dunkel. Mittlerweile sind sowohl Mitschnitte der Passage (vermutlich von Zuschauern) als auch ein Transkript öffentlich zugänglich. Demnach haben Böhmermann und Kabelka in ihrer Diskussion über den rechtlichen Rahmen und die möglichen Folgen einen Teil der jetzigen Entwicklung vorweg genommen:
- Beide stellen fest, dass ein Beitrag mit Schmähkritik nach der Ausstrahlung durchaus gelöscht werden könne – genau das passierte einen Tag später in der ZDF-Mediathek.
- Allerdings muss der von Schmähkritik getroffene die Tat selbst anzeigen – das hat Erdoğan mittlerweile per Anwalt getan und versucht gleichzeitig auf außenpolitischem Weg Böhmermann wegen Beleidigung eines Vertreters eines ausländischen Staates anklagen zu lassen.
- Im Falle eines solchen Verfahrens ist der Rechtsweg lang, falls er bestritten wird – genau das wird sich demnächst zeigen.
- Beide weisen auffällig ausdrücklich darauf hin, dass die Affäre
nicht im Internet landet
, das heißt nicht groß in der Öffentlichkeit breit getreten wird. Genau das passiert nun allerdings und in noch größerer Form durch all diejenigen, die auf Böhmermanns Welle surfen und Erdoğan durch den Kakao ziehen.
Wie schon mehrfach zuvor zeigt sich Böhmermann hier als Virtuose auf der Klaviatur der öffentlichen Meinung.
Freiheit tut weh
Kunst und Satire sind in Deutschland durch das Grundgesetz in einem sehr weiten Rahmen geschützt. Dass die Wirkung davon manchmal schmerzhaft sein kann, hat nun auch der türkische Präsident zu spüren bekommen – eine Erfahrung, die bereits Generationen deutscher Politiker qua ihres Amtes machen durften. Aber die beschützende Freiheit dieses Gutes der Kunst- und Meinungsfreiheit verlangt Toleranz – und genau diese ist in letzter Zeit auch vielen Deutschen abhanden gekommen. Sie haben es sich auf ihrem heimischen und gemütlichen, vielleicht sogar „national-befreiten“ Sofa bequem gemacht und sind avers gegenüber jeglicher Konfrontation; man ist nach innen gekehrt und wehrt äußere Einflüsse ab, die Welt soll einfach und überschaubar sein. Und in genau diese Stimmung platzt Jan Böhmermann zuerst mit seinem Lied Be Deutsch [Achtung! Germans on the rise!] und jetzt mit der „Böhmermann-Affäre“.
Jan Böhmermann meint uns!
Zwar kann sein Gedicht als „Schmähkritik“ aufgefasst werden, allerdings greift das – typisch für ihn – viel zu kurz. Schon das Lied Pol1z1stens0hn – Ich hab Polizei ist von vielen bloß als Auseinandersetzung mit dem deutschen Rap betrachtet worden. Die ganze Gesellschaftskritik, die Auseinandersetzung mit der (Un-) Antastbarkeit der Polizei, kam oftmals viel zu kurz. Kurzum: Böhmermanns Pointen sind immer sehr vielschichtig. Und in der „Böhmermann-Affäre“ geht es zur Zeit um genau einen einzigen Aspekt des Neo Magazins vom 31.03.2016.
Dass er mit dem Gedicht sehr harte Vorurteile Deutscher gegenüber Türken auf den Tisch bringt, oder dass es in Deutschland immer noch so etwas wie „Majestätsbeleidigung“ im Strafgesetzbuch gibt, geht aktuell unter. Dabei sind genau das Punkte, an denen wir als Gesellschaft noch arbeiten müssen. Deshalb ist die ganze Aktion ein „Aprilscherz“, bei dem uns das Lachen im Hals stecken bleiben soll.
Zudem zwingt er nicht nur die Kanzlerin Angela Merkel zur Positionierung hinsichtlich der Grundrechte, auch wir sind gefordert deren Wert zu verteidigen – jeden Tag aufs Neue! Denn es scheint, dass so manches Grundrecht zur Zeit bei manchen zur Disposition stünde; die einen torpedieren sie mit Bomben, die anderen mit einer „alternativen Wagenburg-Mentalität“, so dass sie vom Ergebnis her Hand-in-Hand gehen und die Freiheit einschränken. Es kann, es darf nicht sein, dass diejenigen, die die grundrechtlich verbrieften Freiheiten nutzen, Polizeischutz brauchen.