Nordhessische … Falscher und richtiger Frieden

Abstract

Der Kasseler Ostermarsch 2018 ist schwer verdaulich im Abgang und hinterlässt den Eindruck: Es gibt „richtigen“ und „falschen“ Frieden. Die Deutungshoheit über „richtigen“ und „falschen“ Frieden soll dabei bitte das Kasseler Friedensforum besitzen. Diesem allgemeinen Vertretungsanspruch stehen allerdings die ideologischen Scheuklappen der Beteiligten im Weg.

Friedensfreunde und -feinde

Gleich zu Beginn seiner Rede erklärt das ehemalige geschäftsführende IG Metall-Vorstandsmitglied Horst Schmitthenner, dass er eigentlich gar nicht auf dem Ostermarsch sprechen sollte – zumindest wenn es nach dem Kasseler Bündnis gegen Antisemitismus (BgA) ginge. Die von ihm gelassene Pause nach dieser Aussage wird von den Teilnehmern vor der Rathaustreppe allerdings höchstens für ein kurzes Raunen genutzt. So legt er nach und wirft dem BgA vor, mutmaßlich berechtigte Kritik an der israelischen Regierung als Antisemitismus zu denunzieren und so zu verunmöglichen. Wie die Pflege eines „Feindbildes BgA“, so wie es dem Außenstehenden erscheint – zum Anspruch des Ostermarschs – einer Demonstration für den Frieden auf der Welt – passt, lässt er unerwähnt.

Ein Kleinod entlang des Ostermarschs ist dieser Beys-Stein mit -Baum, mit Pflastersteinen befestigt.

Auf der Webseite des BgA findet man den offenen Brief an die IG Metall, der freilich die Bitte an die Gewerkschaft begründet:

Hervorheben möchten wir jedoch, dass die Kasseler Friedensbewegung sich in der Nah-Ost-Frage durch eine besondere Passion auszeichnet, die nicht nur fragwürdig, sondern schlicht inakzeptabel ist und es auch für Gewerkschafter sein sollte. In der Nah-Ost-Frage zeichnet sich die Kasseler Friedensbewegung durch eine stramme Israelfeindschaft und einen unerbittlichen Antizionismus aus. Wiederholt stand die Verurteilung Israels als einer der zentralen Punkte auf den Aufrufen der Ostermärsche und bei jedem Ostermarsch präsentieren sich die Streiter für ein „Free Palestine“ prominent und unübersehbar auf der Rathaustreppe. Sie meinen mit diesem Slogan einen Nahen Osten ohne einen jüdischen Staat. […]

[…]

Der DGB kann auf eine lange freundschaftliche Beziehung zum israelischen Gewerkschaft Histadrut verweisen und mit Otto Brenner gibt es in der IG Metall einen ihrer wichtigsten historischen Persönlichkeiten, die schon früh um ein freundschaftliches Verhältnis zu Israel bemüht war. Der ehemalige Vorsitzende des DGB Michael Sommer hat sich im Namen des DGB deutlich gegen die Unterstützung der BDS-Bewegung ausgesprochen. Auch in Kassel gehört die IG Metall zu den Kräften, die sich darum bemüht haben, die Bildungsarbeit zur Kritik des Antisemitismus des Sara Nussbaum Zentrums zu unterstützen, in der es auch um den israelbezogenen Antisemitismus ging.

Schmitthenners Entgegnung auf der Kundgebung weicht den Argumenten auf eine persönliche Ebene aus:

Das junge Forum DIG und das Bündnis gegen Antisemitismus, beide hier aus Kassel, wollen nicht das ich auf diesem Ostermarsch rede, weil sie dem Veranstalter, dem Kasseler Friedensforum, antisemitische Positionen unterstellen.

Ich kenne viele von ihnen und kann den Vorwurf nicht bestätigen.

Free Palestine

Diese zwei Worte befinden sich auf dem Schild eines Ostermarschierenden. Die andere Seite seiner Tafel ziert die Aufforderung Hands off Syria, so dass sich vermuten lässt, dass einfach der Platz nicht reichte, um zu erklären, inwiefern Palästina befreit werden soll. Angesichts der Sicherheitslage in Israel und den palästinensischen Gebieten kann allerdings eigentlich nur free Palestine from Hamas and Hizbollah gemeint sein. Denn auch Schmitthenner weist in seiner Rede auf seit Jahrzehnten […] immer wieder kriegerische Handlungen […] in der Nahostregion hin und ein wirklicher, dauerhafter Frieden [ist] nicht in Sicht. So blieb denn auch der Sturm auf die israelische Grenze an Ostern im Gazastreifen unerwähnt.

Some Hands off Syria

Die Forderung, bestimmte internationale Mächte mögen ihre Finger von Syrien lassen, wie zusammenfassend auf der Tafel formuliert, wird in den Reden präzisiert: Unter US-Amerikanischer Einmischung und mit deutscher Unterstützung (Rüstungsgüter) sowie Tolerierung (auf politischer Ebene) ist die Türkei Erdogans – ja eigentlich auch die genannten Unterstützer – völkerrechtswidrig in Syrien unterwegs. Zum russischen Engagement in Syrien ist nichts zu hören.

Stattdessen werden lediglich die Spannungen mit Russland auf der internationalen Bühne thematisiert. Da kann schon einmal der Blick nach Syrien oder auf die Krim verloren gehen.

Frieden schaffen – zum Teil mit Waffen

Kurz nachdem sich Herr Schmitthenner darüber echauffiert hatte, dass das BgA einem der Slogans des Ostermärsche, Frieden schaffen ohne Waffen, widerspräche, skandieren einzelne Teilnehmer Weg mit dem PKK-Verbot! Die dafür nötige Kunstpause hatte der mutmaßliche Kundgebungsleiter gelassen, als er berichtete, dass die Polizei die Personalien vierer Ostermarschierender aufgenommen hätte. Wie von der Kasseler Staatsanwaltschaft angekündigt sei dies wegen Zeigens verbotener Symbole geschehen – sinngemäß „im Dienste Erdogans“.

Wie die PKK, deren Verbot auf dem Ostermarsch kritisiert worden ist, zum Slogan Frieden schaffen ohne Waffen steht, zeigt eine kurze Wikipedia-Recherche über die Arbeiterpartei Kurdistans:

[Der] militärische Arm [der Arbeiterpartei Kurdistans, Abkürzung PKK] verübt Anschläge auf militärische und zivile Ziele. […]

Die Organisation und ihre Nachfolger werden unter anderem von der Türkei, der Europäischen Union, den Vereinigten Staaten und Deutschland als terroristische Vereinigung eingestuft. Die Vereinten Nationen und Staaten wie China, Russland, Indien, Ägypten und die Schweiz haben die PKK nicht als Terrororganisation eingestuft. Seit Mai 2008 steht die PKK auf der Drogenhandelsliste des Foreign Narcotics Kingpin Designation Act in den USA. Die PKK wird vom deutschen Verfassungsschutz mit rund 13.000 Mitgliedern als größte „ausländerextremistische Organisation in Deutschland“ gewertet. Dabei versuche sie ihr aggressives Vorgehen im Nahen Osten durch ein friedfertiges Auftreten in Europa zu verdecken, dennoch komme es zu gewalttätigen Ausschreitungen durch ihre Anhänger. Gemäß einer Analyse des Council on Foreign Relations verübte die PKK im Jahr 2011 insgesamt 35 Terrorakte und steht damit an Position 9 der weltweit aktivsten Terrororganisationen.

Vielleicht ist man auch gar nicht so fern der Position des BgA: […] in der militärische Einsätze um bestimmte Regionen zu befrieden, eine ultima ratio sind.

Heute ein König

Passend zur einäugig linken Selbstbeweihräucherung und der Selbstvergewisserung, in Kassel die Definitionshoheit über den Frieden zu pflegen, treten einige Teilnehmer des Ostermarschs prominent auf und vor der Kasseler Rathaustreppe auf: mit der Dose „Köpi“ in der Hand, der Sonne im Gesicht, dem Mariuana-Duft um die Nase und den Flaggen vom Verfassungsschutz beobachteter Organisationen. Wenn es eines letzten Beweises gebraucht hätte, warum der Frieden des Kasseler Ostermarschs nicht der Frieden der Bürgerlichen, Liberalen oder Konservativen, sprich der Mitte der Gesellschaft ist, so stand dieser Beweis angeheitert in aller Öffentlichkeit.

In diesen Straßen außerhalb der Innenstadt und außerhalb der Selbstvergewisserung des Kasseler Friedensforums kommen weder „Demofolklore“ noch die Botschaft des Ostermarschs an. Dabei wohnen hier Menschen mit Einfluss und Mehrheiten – aber auch einem breiten Horizont.