Abstract
Am 28. Oktober 2018 fand in Hessen neben der Landtagswahl eine verfassungsändernde Volksabstimmung statt. Dabei ist auch über die Abschaffung des prominentesten Artikel der Hessischen Verfassung abgestimmt worden: Artikel 21 sah bei besonders schweren Verbrechen
die Todesstrafe vor. Korreliert man das Ergebnis der „Hessenwahl“ mit dem Ergebnis der Volksabstimmung, fallen interessante „Häufungen“ auf.
Volksabstimmung zur Änderung der Verfassung des Landes Hessen
Zeitgleich mit der Wahl zum 20. Hessischen Landtag fand auch eine Volksabstimmung zur Änderung von 15 Artikeln der Hessischen Verfassung statt. Dieses Prozedere ist in Artikel 123 (2) festgelegt: Die Verfassung kann nur durch Mehrheitsbeschluss des Landtags sowie einer Volksabstimmung geändert werden. Von den 15 zur Abstimmung stehenden Änderungen lohnen – nicht nur im Kontext der Landtagswahl – ein paar der näheren Betrachtung:
- 1. Gesetz zur Ergänzung des Artikel 1 der Verfassung des Landes Hessen (Stärkung und Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern)
- 2. Gesetz zur Ergänzung des Artikel 4 der Verfassung des Landes Hessen (Stärkung der Kinderrechte)
- 4. Gesetz zur Änderung der Artikel 21 und 109 der Verfassung des Landes Hessen (Aufhebung der Regelungen zur Todesstrafe)
- 11. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Artikel 64 der Verfassung des Landes Hessen (Bekenntnis zur Europäischen Integration)
- 12. Gesetz zur Änderung des Artikel 75 der Verfassung des Landes Hessen (Herabsetzung des Wählbarkeitsalters)
Die Todesstrafe in der Hessischen Verfassung
Der vierte Punkt, die Abschaffung der Todesstrafe, war längst überfällig, denn faktisch war diese auf Grund von Artikel 153 der Hessischen Verfassung und Artikel 31 des Grundgesetzes außer Kraft gesetzt: Bundesrecht bringt Landesrecht.
Der Anachronismus, dass diese dennoch nach 1949 immer noch in der Verfassung des Landes Hessen stand, ist u.a. mit der Scheu der Landtagspolitiker vor dem Ergebnis einer Volksabstimmung darüber begründet: Man hegte Jahrzehnte lang die Furcht, dass auf ein spektakuläres Verbrechen oder populistische Umtriebe hin sich eine Mehrheit der abstimmenden Bürger für die Todesstrafe ausspricht.
Dass diese Sorge vielleicht unbegründet war, hat sich am 28. Oktober 2018 gezeigt, als eine deutliche Mehrheit von 83,2 Prozent der abstimmenden hessischen Bürger für die Abschaffung der Todesstrafe aus der Hessischen Verfassung votiert hat. Allerdings verwundert auch die implizite Zustimmung zur Todesstrafe von immerhin 16,8 Prozent.
Wahl- und Abstimmungsergebnisse
Zur Untersuchung auf mögliche Korrelationen oder anderweitig interessante Ergebnisse der Landtagswahl in Kombination mit der Volksabstimmung zur Änderung der Hessischen Verfassung ist im Folgenden auf die vorläufigen amtlichen Ergebnisse der Landtagswahl sowie der Volksabstimmung zurückgegriffen worden. Die Ergebnisse werden auf den verlinkten Seiten als CSV-Dateien angeboten und sind hier in einer OpenDocument-Tabelle aggregiert. Zur Auswertung sind die Wahlkreisergebnisse der oben genannten Änderungspunkte der Verfassung mit den Ergebnissen der im zukünftigen Landtag vertretenen Parteien gegenübergestellt. Wer selbst die Ergebnisse untersuchen möchte, kann das verlinkte OpenDocument unter Berücksichtigung der Creative Commons-Lizenz (CC) Namensnennung Nicht-Kommerziell Weitergabe unter gleichen Bedingungen (by-nc-sa) dafür verwenden.
Eine erste Übersicht der ausgewählten Punkte und der Stimmenanteile der im zukünftigen hessischen Landtag vertretenen Parteien ist in Abbildung 1 dargestellt und legt nahe, bestimmte Teilergebnisse separat zu betrachten.
Zustimmung zu den ausgewählten Änderungen in Korrelation mit „links-grünem“ Abstimmungsverhalten
Die erste mögliche Korrelation ergibt sich aus den Ergebnissen von SPD, Grünen und Die.Linke im Vergleich zur Zustimmung zu den Themen. Die Ergebnisse der SPD passen hierbei allerdings weniger gut, was auf eine Wählerwanderung von der SPD zu den Grünen hindeuten kann, denn in Abbildung 2 sind die Ergebnisse beider Parteien häufig gegenläufig. Die Ergebnisse von Gründen und Die.Linke gehen allerdings recht gut einher mit einer Zustimmung zu den Verfassungsänderungen.
Ablehnung der ausgewählten Änderungen in Korrelation zu „rechts-liberal-konservativem“ Abstimmungsverhalten
Betrachtet man das Spektrum rechts der „links-grünen“ Parteien, sprich FDP, CDU und AfD, fällt mehrheitlich eine Ablehnung der Änderungsvorschläge auf. Gleichzeitig kann für einige Wahlkreise eine Wählerwanderung von der CDU, zum Teil auch der FDP, zur AfD vermutet werden.
Einzelbetrachtung: Beibehaltung der Todesstrafe und Wahlergebnisse der AfD
Eine Korrelation sticht aus der vorherigen Betrachtung allerdings heraus: Die Ablehnung einiger interessanter Änderungsvorschläge und die Wahlkreisergebnisse der AfD. Wie Abbildung 4 zeigt, verlaufen die Ablehnung mehr oder weniger parallel zu den Wahlkreisergebnisse. Das heißt, dass Werte wie die Gleichberechtigung der Geschlechter, das Bekenntnis Hessens zu Europa oder die Unversertheit des Lebens überall dort verstärkt abgelehnt werden, in denen die AfD viele Stimmen bekommen hat.
Rein aus den vorliegenden Daten lässt sich allerdings lediglich diese Korrelation feststellen, sie sind nicht ausreichend einen Kausalzusammenhang zu erkennen. Es kann daher nicht festgestellt werden, ob hauptsächlich AfD-Wähler die Todesstrafe befürworten oder die Gleichberechtigung der Geschlechter ablehnen. Die Korrelation sollte allerdings Anlass für weitere gesellschaftliche und politische Forschungen geben, schließlich zeigt das Ergebnis der Volksabstimmung, dass gewisse Werte der modernen zivilisierten Welt von einem nicht unerheblichen Teil der Wähler ablehnt werden – auch Werte, die eigentlich als nicht verhandelbar angesehen werden.