Abstract
Made in Germany wird oft mit deutscher Wertarbeit assoziiert, man ist stolz auf seine vielen Hidden Champions im Mittelstand, betont Werte und Tugenden wie Fleiß, Ordnung und Pünktlichkeit. Doch nicht erst seit der Covid-19-Pandemie stellt sich die Frage, wie viel eigentlich noch von diesen Werten übrig geblieben ist? Und kann es sein, dass die Antwort auf diese Frage auch erklärt, warum wir weder die Pandemie noch die dadurch ausgelöste Wirtschaftskrise im Griff haben?
Deutschland im „Lockdown“
Vor fast einem Jahr hieß es in einem offenen Brief des Heidelberger Clubs halle02:
Als erste geschlossen, als letzte wieder geöffnet.
Während es die halle02 in dieser Form (vorerst?) nicht mehr gibt, waren die zitierten Worte doch prophetisch für die Situation, in der wir uns immer noch befinden: Die Kultur liegt größtenteils brach, obwohl Kultur ein wichtiges Gut ist. (Man könnte sogar vermuten, dass sich das Fehlen von Kultur im Umgang der Menschen untereinander – und zwar nicht nur in „sozialen Netzen“ – widerspiegelt.) Aber wie von der halle02 schon richtig erkannt bringt Kultur Menschen zusammen, was in einer Pandemie prinzipiell erst einmal ungünstig ist.
Daneben ist durch die verschiedenen „Corona-Verordnungen“ der Bundesländer und der kommunalen Allgemeinverfügungen das private und soziale Leben sowie große Teile des Einzelhandels seit Ende Oktober 2020 sehr stark eingeschränkt bzw. nicht mehr erlaubt. Mit anderen Worten: Dieser „Lockdown“ dauert jetzt also schon (je nach Bundeslang) mehr oder weniger vier Monate an.
Weiterhin erlaubt bzw. immer mal wieder erlaubt und entsprechend „genötigt“ sind
- Schulen und Kindertagesstätten
- nicht systemrelevante Arbeit in Großraumbüros
- Pendeln im vollen ÖPNV
- unkontrollierter Zugang zum „Einzelhandel des täglichen Bedarfs“ (der unkontrolliert auch Waren des nichttäglichen Bedarfs verkaufen darf im Gegensatz zum Fachhandel)
Wenn man jetzt die oben gezeigten Zahlen, diese Feststellung und eine aktuelle Studie der TU Berlin zur Aerosol-Ausbreitung in Innenräumen zusammennimmt, ergeben sich nicht nur Indizien, die erklären, warum dieser „weiche Lockdown“
- nicht so richtig funktioniert
- darum so lange dauert und
- besser „bleierner Lockdown“ genannt werden sollte.
Es stellt sich vor allem auch die Frage, ob die bisherigen Einschränkungen des Lebens zielführend und ausreichend zur Pandemiebekämpfung sind. Das Fragezeichen wird sogar noch größer, wenn man die Maßnahmen in Ländern, die die Pandemie sehr gut im Griff haben, hiermit vergleicht: die Lockdowns waren härter und kürzer, die über die Zeit integrierten Einschränkungen der Menschen sowie der Wirtschaft daher deutlich geringer.
Stattdessen soll bisherige „Lockdown“ wieder einmal verlängert werden und es ist die Rede, an welchen Stellen dieser gelockert werden kann. Eine nachhaltige Strategie ist leider immer noch Fehlanzeige – sofern diese Strategie nicht „bleierner Dauerlockdown“ und schleichende Durchseuchung der Bevölkerung lautet.
„Deutsche Wertarbeit“ und „Tugenden“
Wie in der Einleitung bereits geschrieben, zählen Fleiß und Ordnung zu den so genannten deutschen Tugenden und man weiß,
In der allergrößten Not
ist der Mittelweg der Tod
Doch von Gründlichkeit kann angesichts des durch und durch halbherzigen Pandemiemanagements keine Rede sein:
- Der „bleierne Lockdown“ wird verlängert und verlängert und verlängert … ohne, dass die Wirkung der ergriffenen Maßnahmen evaluiert wird. Einige der Maßnahmen, wie z. B. die baden-württembergische Ausgangssperre, können sogar kontraproduktiv gewesen sein, weil die Möglichkeit zur Bewegung an der frischen Luft sowie das Einkaufen in schwachnachgefragten Zeiten drastisch eingeschränkt waren.
- Man scheint sich aus Rücksicht auf Teile der Bevölkerung, der Wirtschaft, … oder aus Ungläubigkeit gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen und Ratschlägen nicht zu trauen nachhaltige Maßnahmen umzusetzen, sondern auf einen vermeintlichen „Kuschel-Lockdown“ zu setzen.
- Die Logistik zur Pandemiebekämpfung – Beschaffung und Verteilung von medizinischen Masken für vulnerable Bevölkerungsgruppen, Beschaffung und Einsatz von Impfstoffen, Kontaktnachverfolgung zur Erkennung von Infektionsclustern – ist vollkommen unzureichend. Man stolpert selbst über die Ordnung des 20. Jahrhunderts und seine eigenen bürokratischen Hürden. Statt eine Fehlerkultur zu leben und daraus lernend Abhilfe zu schaffen, wird die Schuld weitergereicht, Hauptsache, man muss seine eigenen Prozesse nicht hinterfragen und ändern.
Und tugendhaft ist das alles auch nicht.
Es ist die große Frage, warum man sich im Pandemiemanagement nicht Hilfe von Leuten geholt hat, die sich damit auskennen: Virologen, die Infektionsrisiken ermitteln, Statistiker, die Modelle zum Pandemiegeschehen erstellen, IT-Dienstleister, die leistungsfähige Datenbanken und Anwendungen bereit stellen, Logistiker, die die Verteilung von Gütern organisieren, (Reise-) Veranstalter, die Impftermine verteilen – und Mitarbeiter:innen, die einfach mal mitdenken, wenn Impfreihenfolgen erstellt werden, die Menschen von für sie beschafften Impfstoffen ausschließen.
Es gibt allerdings auch Perspektiven von außen, die die „deutschen Tugenden“ mittlerweile in Frage stellen bzw. die Frage aufwerden, wie viel davon noch übrig geblieben ist? Solche Einblicke von außen sind interessant und oft sehr zutreffend, weil sie unvereingenommen und unbefangen sind – vor allem, wenn einem selbst der Vergleich mit anderen Gegenden und Kulturen der Welt nicht ohne Weiteres möglich ist.
„Deutsche Wertarbeit“ und Erfindergeist
Legal, Illegal, Egal
Das Label Made in Germany steht auch für „deutsche Wertarbeit“ und Erfindergeist, technisch ausgereifte Lösungen für Herausforderungen des Alltags. So wurde im Verlauf des letzten Jahres viel zur Aerosol-Ausbreitung geforscht, zur Luftreinigung, es sind Konzepte zur Kontaktnachverfolgung, Zugangskontrolle, entwickelt worden und vieles davon hat einen vielversprechenden Eindruck gemacht. An Kreativität seinem Geschäft pandemiekonform weiterhin nachgehen zu können hat es nicht gemangelt.
Manches Konzept hätte natürlich erst im Detail untersucht werden müssen, aber Ideen und Lösungen waren ausreichend vorhanden und zum Teil sind vorausschauend schon Investitionen getätigt worden.
Doch mit steigenden Infektionszahlen im Spätherbst waren die entwickelten Konzepte plötzlich wertlos, weil eben diese abschließende Forschung nie stattgefunden hat oder nicht bürokratisch berücksichtigt worden ist. Es ist einfacher es egal sein zu lassen und für illegal zu erklären anstatt sich mit den Details zu beschäftigen. Nur stößt das den Kreativen vor den Kopf, die das Beste aus der Situation machen wollen. Die nächste Innovation muss dann woanders herkommen. Aber damit hat man ja Erfahrung …
Beim Stichwort Kohle und „Made in Germany“ könnte man noch etwas über neue Antriebs- und Mobilitätskonzepte schreiben, während noch der Otto- und Dieselmotor mit viel Detailliebe bis zur Perfektion entwickelt werden. Aber als Metapher sei auf die Geschichte der Dampflokbaureihe 10 der Deutschen Bundesbahn verwiesen …
Impfstoff Made in Germany
Etwas Positives gibt es allerdings zum Abschluss: Einer der ausgefeiltesten Impfstoffe gegen SARS-CoV2 ist u. a. „deutsche Wertarbeit“ und durch Grundlagenforschung entstanden. Wir können also doch einiges, wenn wir wollen und Gelder für die Forschung, in die Zukunft, investieren. Die Zukunft braucht viel eher Investitionen, denn um es mit den Worten von Vince Ebert zu sagen:
Zukunft is the Future!
Und klassische Zukunftsthemen fallen uns jetzt in der Pandemie auf die Füße: Digitalisierung, Bildung, Umgang mit Wissenschaft, (Grundlagen-) Forschung und Entwicklung, Infrastruktur, … Auch wenn es bislang günstiger erschien diese Themen auszusitzen, Geld zu sparen und es sich bequem zu machen, tritt gerade jetzt offen zu Tage, wie teuer und disruptiv es später wird den Laden wieder in Ordnung zu bringen.