Nordhessische … Presse-Nachtrag zur „Böhmermann-Affäre“

Presse-Nachtrag zur „Böhmermann-Affäre“

Abstract

Vorgestern wurde an dieser Stelle der mediale Stunt des Moderators Jan Böhmermann als „Aprilscherz“ bezeichnet. Die „Affäre“ schlägt immer höhere Wellen – die langsam bis um den Globus schwappen. Und obwohl es seitdem praktisch nichts Neues in der Sache gab, werden fleißig weitere Artikel dazu veröffentlicht (auch auf Nordhessische.de), z. B. zu juristischen Fragen.

Internationale Resonanz

Dass das Neo Magazin vom 31.03.2016 zumindest auch in der Türkei medialen Rummel hervorgerufen hat, liegt auf der Hand. Schließlich kontrollieren nach Angaben des NDR-Medienmagazins Zapp vom 13.04.2016 Recep Tayyip Erdoğan und seine Partei AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi – Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) die türkische Presse mehrheitlich. Gestern tickerte dann durch die Twitter-Timeline der Hinweis auf einen Artikel des Online-Magazins The Intercept, welches u. a. von Glenn Greenwald und Laura Poitras gegründet worden ist – den Gesprächspartnern von Edward Snowden auf seiner Flucht und bei der Veröffentlichtung der „NSA-Leaks“. The Intercept titelte, An obscure German law makes slandering a foreign head of state an offense punishable by up to five years in prison. Dieser Artikel wurde später ergänzt zu Germany Could Charge Comic for Insulting Turkey’s President – und liefert eine sehr interessante Betrachtung der „Affäre“ von außerhalb:

AMERICANS WONDERING WHAT life might be like in the near future — after a President Donald Trump acts on his promise to “open up our libels laws,” so that politicians with easily bruised egos can sue reporters or commentators for hurting their feelings — should pay attention to what is happening this week in Germany.

[…]

Still, the fact that Merkel is even considering the prosecution of the satirist at the behest of Erdogan has angered Germans across the political spectrum, who have rallied to Böhmermann’s defense online and accused the chancellor of compromising on a core principle of German society to appease the Turkish demagogue.

Darauf wird die zeitliche Entwicklung an Hand vielfältiger Links nachgezeichnet – bspw. dieses sehr ausführlichen Transkripts. The Intercept hat auch das neueste Musikvideo des Neo Magazins und die Reaktionen darauf in den Kontext der „Affäre“ gesetzt:

In an ironic twist, Böhmermann — who devoted another segment of the same show in which the poem was broadcast to attacking xenophobic Germans who harass Syrian refugees in the comic song “Be Deutsch!” — has also been supported, on nationalist grounds, by right-wing tabloids that stoke anti-Muslim and anti-Turkish sentiment.

Und dann fällt einem der Satz von Böhmermann aus der Einleitung der Sendung wieder ein:

… ich finde es ganz toll, wie in dieser Woche die Zivilgesellschaft aufgestanden ist, von Beatrix von Storch, die noch vor zwei Wochen, glaube ich, mich erschießen lassen wollte wegen des komischen Songs, den wir hier gemacht haben. Und jetzt ist sie auf einmal ganz vorne dabei, wenn es um Pressefreiheit und Kunstfreiheit geht.

Royal Botanic Garden in Melbourne
Der Royal Botanic Garden in Melbourne ist zum Glück ein Ort, an dem man nicht nur die Stadt, sondern alles um sich herum vergessen kann. Vielleicht wäre das eine Urlaubsempfehlung für Jan Böhmermann.

Juristische Betrachtung

Die Süddeutsche Zeitung fasste gestern verschiedene juristische Standpunkte als „Denksportaufgabe“ zusammen. Ihre Lösung liefert zwei Gründe dafür, dass es bei einem Gerichtsverfahren zu keiner Verurteilung käme, da der satirische Charakter auf Grund der totalen Überzeichnung evident sei. Zudem sei nicht das Gedicht mit dem Namen „Schmähkritik“ Kernpunkt der Szene im Neo Magazin, sondern die zuvor diskutierte Auseinandersetzung mit dem Verständnis von Meinungs- und Pressefreiheit des türkischen Präsidenten Erdoğan sowie den Grenzen zwischen erlaubter Satire und nicht erlaubter Schmähkritik. Genau dieser Punkt kam auch schon im vorgestrigen Artikel auf Nordhessische.de zur Sprache.

Otway Rainforrest an der Great Ocean Road
Der Paragrafen-Dschungel ist manchmal undurchschaubar und oft gibt es viele Wege zum Ziel – sowie noch mehr Sackgassen. Das Symbolfoto zeigt den Otway Rainforrest an der Great Ocean Road.

Nach bisheriger Sprechweise hat das ZDF das Neo Magazin vom 31.03. zuerst aus der Mediathek gelöscht und anschließend eine geschnittene Fassung wieder veröffentlicht – weil diese Sendung nicht den Qualitätskriterien des Senders entsprochen habe. Ob juristische Überlegungen auch dahinter steckten ist bislang unklar. Auf der Seite mit dem Transkript der Sendung findet sich auch eine Presseschau und dort finden wir mit dem gestrigen Datum beim Deutschlandfunk ebenfalls die komplette Szene als Video sowie eine Abschrift davon. Und dort taucht noch ein Absatz von Jan Böhmermann auf, der bislang weder in den Videomitschnitten noch den anderen Abschriften zu finden ist:

Wie bereits oben angesprochen weist er noch einmal auf die plötzlich gemeinsame „Stimme für Meinungsfreiheit“ in Deutschland hin, andere „Despoten in Europa“, die die Meinungsfreiheit auslegen, wie man nur Meinungsfreiheit auslegt wenn man Despot oder Diktator ist und schließt mit:

Ich finde es ganz tool, dass wir diesen Menschen selbstbewusst entgegengetreten sind. Wer Rechte anderer einschränkt, dem gehören die Rechte eingeschränkt.

Das macht die Dramaturgie dieser Szene noch interessanter und die Tragweite dieser knappen fünf Minuten deutlicher. (Dem entsprechend ist die Berichterstattung auf Nordhessische.de auch unter Politik und nicht Medien zu finden.)