Abstract
Seit dem 1. Januar 2018 ist das als „NetzDG“ bezeichnete Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken in Kraft. Nach nur fünf Tagen, „herkömmlichen Strafanzeigen“ und fragwürdigen Sperrungen zeigt sich, dass die Befürchtungen der Kritiker berechtigt waren: Das Gesetz ist unnötig, schießt über das Ziel hinaus, ja „läuft Amok“.
Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken
Das NetzDG sieht in § 3 vor, dass ein soziales Netzwerk unverzüglich von der Beschwerde Kenntnis nimmt und prüft, ob der in der Beschwerde gemeldete Inhalt rechtswidrig
sind und einen offensichtlich rechtswidrigen Inhalt innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernt oder den Zugang zu ihm sperrt
. Soziale Netzwerke sind dabei in § 1 als Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen
definiert. Das Gesetz gilt dabei nur für soziale Netze mit mehr als zwei Millionen Mitgliedern in Deutschland.
Privatisierung der Rechtsdurchsetzung
Die Forderung offensichtlich rechtswidrige Inhalte
zu identifizieren und zu löschen ist eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. Denn gerade die in § 1 (3) genannten Paragrafen des Strafgesetzbuches (StGB) – die es ja bereits gibt! – sind vor Gericht oftmals gar nicht so eindeutig bzw. offensichtlich
. Gerade an den Grenzen der Meinungsfreiheit – Extremismus oder Satire – entscheiden Gerichte oftmals im Sinne der Meinungsfreiheit. Aber es sind immer Einzelfallentscheidungen im Kontext. In den letzten eineinhalb Jahren wurde mit der „Böhmermann-Affäre“ eindrucksvoll gezeigt, wie wenig offensichtlich scheinbar Offensichtliches scheint. Die Antwort auf die bereits zur Beratung des NetzDG aufgeworfene Frage, wie soziale Netze etwas erkennen sollen, mit dem sich Richter schwertun, bleibt uns der Bundesjustizminister Heiko Maas immer noch schuldig.
Overblocking
Natürlich könnte es ein soziales Netz auf die Einzelfälle ankommen lassen, doch definiert § 4 Bußgeldvorschriften, denen sich Plattformbetreiber nach Möglichkeit entziehen werden. Und das bedeutet, dass „sicherheitshalber“ genau diese Einzelfälle geblockt werden. Sie verschwinden damit aus dem Diskurs auf der Plattform und es ist keine weitere Möglichkeit des Urteilens über die fraglichen Inhalte vorgesehen. Das beschneidet die freie Meinungsäußerung an den Rändern und kanalisiert diese.
Ein unnützes Gesetz
In den ersten fünf Tagen NetzDG sind einige Fälle bei Twitter prominent geworden, die zeigen, wie unnütz das Gesetz ist:
- Die AfD-Politikerin Beatrice von Storch echauffierte sich über eine arabische Meldung der Kölner Polizei und wurde dafür von Twitter gesperrt. Unabhängig davon wurde sie u. a. von der Kölner Polizei angezeigt. Für letztere braucht es kein NetzDG.
- Die Satirezeitschrift titanic twitterte vorgeblich als von Storch und wurde für einige Tweets für zwei Tage gesperrt, manche der Tweets waren nicht mehr lesbar. Angeblich waren diese als Satire erkennbar – außer für das „Hatespeech-Team“ von Twitter.
- Etliche Accounts posten als „Trophäe“ Mails von Twitter, die auf vermeintliche Beschwerden hinweisen. Der Großteil dieser Beschwerden ist
offensichtlich
unbegründet, in manchen Fällen gibt es allerdings fragwürdige Sperren. Der Hacker Frank Rieger vermutet gar, dass das NetzDG als „dislike“ verwendet wird.
Diese ganzen Fälle zeigen jedenfalls, dass das NetzDG nichts von seinem Versprechen „Hasskriminalität zu vermindern“ halten kann – wie bereits letztes Jahr oft kritisiert worden ist. Denn die Befürchtungen, dass soziale Netze Kollateralschäden im Diskurs hervorrufen, treten offensichtlich
ein. Und der Hinweis, dass bestimmte Meinungsäußerungen bereits zuvor vom Strafrecht angegrenzt werden, gilt weiterhin.
Die in den fünf Tagen aufgetretene Praxis des Umgangs sozialer Netze mit dem NetzDG ist nicht geeignet sinnvoll mit „Hass“ oder nach StGB inkriminierten Inhalten umzugehen. Dafür ist das Gesetz allerdings geeignet bei Nutzern sozialer Netze Frust hervorzurufen, der zur Flucht auf andere Plattformen oder zum Abmelden führt. Übrig bleiben alle mit Sendungsbewusstsein – „Hater“ inklusive. Das kann kaum Sinn der Sache sein – es sei denn, „das Volk soll aus dem Neuland vertrieben werden“. Schließlich lässt es „das Neuland“ zu, dass jeder auch zum Sender werden kann und nicht nur Empfänger sein muss.
Eine Frage habe ich allerdings noch: Sprach in diesem Zusammenhang eigentlich jemand von Medienkompetenz, politischer Bildung und Anstand?