Nordhessische … KVG-Liniennetzreform – Ein Beitrag zur Gesundheit

KVG-Liniennetzreform – Ein Beitrag zur Gesundheit

Abstract

Die Kasseler Verkehrsgesellschaft (KVG) muss sparen und will gleichzeitig näher am Fahrgast sein. Dieser Spagat – als Liniennetzreform unter dem Titel Kasseler Linien – einfach. schnell. nah veröffentlicht – ruft mittlerweile viel und fundierte Kritik hervor. Dabei wird übersehen, welchen Beitrag zur Gesundheit das Verkehrsunternehmen mit Taktausdünnungen und Attraktivitäts-senkendem AST-Verkehr leistet: Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad entwickeln sich immer mehr zur ernsthaften Alternative.

„Mit den Füßen abstimmen“

Während sich etliche der Änderungen im Tram- und vor allem Busnetz im Alltag beweisen müssen – in die Netzreform sind auch Beobachtungen von Pendlerströmen eingeflossen – so gibt es doch auch viele „Angebotsanpassungen“, die eindeutig Verschlechterungen des ÖPNV darstellen. Dazu gehört AST- statt Busverkehr (Linie 24/AST 27) oder die neue „Spätverkehrszeit“. Wie die folgenden Punkte zeigen, leistet die KVG mit der Liniennetzreform allerdings einen unschätzbaren Beitrag zur Sportförderung und damit der Gesundheit in Kassel. Der Fahrgast sollte und wird „mit den Füßen abstimmen“, sei es beim Wandern oder Konrad-/Fahrrad-Fahren.

Spätverkehrszeit

Die vorgesehene Bedienung des Stadtgebiets in der „Spätverkehrszeit“ macht den ÖPNV für Menschen, die außerhalb des „9-bis-5-Rahmens“ tätig sind, deutlich unattraktiver. Wenn selbst auf den Hauptachsen Wilhelmshöher Allee, Frankfurter Straße, Ihringshäuser Straße und Leipziger Straße nur noch ein 30-Minuten-Takt existiert, ist es oftmals günstiger, die Strecke zu Fuß zurückzulegen. Mit normaler Schrittgeschwindigkeit schafft ein Fußgänger in einer halben Stunde etwa drei Kilometer. Auf dem Fahrrad sind je nach Kondition sogar mehr als zehn Kilometer möglich. Bei den vergleichsweise schweren „Konrädern“ kann man von rund sieben Kilometern in 30 Minuten ausgehen. Damit dürfte das (Leih-) Fahrrad der größte Konkurrent des neuen Liniennetzes sein – günstige topografische Lage von Start- und Zielpunkt vorausgesetzt.

Der Bergpark Wilhelmshöhe liegt allerdings topografisch ungünstig und soll in Zukunft nur noch übers Druseltal richtig erschlossen werden, da die Linie 1 in der Spätverkehrszeit nur zwischen Vellmar und dem Königsplatz fährt. Besucher des UNESCO-Weltkulturerbes Bergpark Wilhelmshöhe oder des Schlosses Wilhelmshöhe müssen dann entweder von der Brabanter Straße quer durch den Park oder vom Bahnhof Wilhelmshöhe laufen. Aus Sicht des ÖPNV und des Tourismus handelt es sich dabei um eine Katastrophe, aber passend zur sonntags geschlossenen Touristeninformation. Mediziner und Sportler dürften allerdings über diese Motivation zum Cardiotraining erfreut sein.

Kasseler Freibäder

Gut, ein Freibad ist nur in den warmen Monaten geöffnet, aber dann ist die Nachfrage da. Mit dem Entfall der bisherige Buslinie 24 und der Neuordnung in Harleshausen sind die dortigen Freibäder nur noch im 30-Minuten-Takt (Wilhelmshöhe, Bus 52) oder gar nicht mehr (Harleshausen; Wilhelmshöhe in der Schwachverkehrszeit – Bus 53 verkehrt über Druseltalstraße) mit dem ÖPNV erreichbar. Statt also nur einer Sportart – Schwimmen – nachzugehen, sorgen die Verknüpfung mit dem Konrad und die Fußwege zur nächsten Haltestelle für ein ausgefeiltes Triathlontraining.

Westfriedhof

Ein bislang größtenteils negativ beurteilter Aspekt ist der „Ersatz“ der Buslinie 24 durch die AST-Linie 27 und damit das „Abhängen“ des Westfriedhofs. Wie auf der OpenStreetMap zu erkennen ist, wird der Friedhof zur Zeit am Besten mit dem Bus erschlossen: Beim Parkplatz unten mittig befindet sich die Bushaltestelle, direkt am Haupteingang. Von den Straßenbahnhaltestellen Helleböhnweg und Süsterfeld sind es längere Fußwege zu Seiteneingängen. Dazu kommt die topografische Lage am Hang, d. h. es sind z. T. einiges an Steigung zu bewältigen. Statt der „Rollator-Gesellschaft“ wird also auch hier ein ansprechendes Cardioprogramm gefördert. (Ob man den Rollator überhaupt im AST transportieren kann?)

„Abgehängte“ Stadtteile

Mit der Liniennetzreform werden einige Stadtteile zwar nicht ganz abgehängt, wie die plakative Überschrift vermuten lässt, aber in Zukunft schwächer bedient, z. T. durch Regionalbusse. Um regelmäßige Anschlüsse in Richtung Innenstadt zu erhalten, bieten sich Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad als Alternative an. Betroffen sind:

Marbachshöhe
Zwar verkehren in Zukunft mit den Straßenbahnlinien 3 und 7 zwei Linien entlang der Marbachshöhe, allerdings nur im östlichen Teil. Der nördliche Teil entlang der Druseltalstraße wird nur noch von der Buslinie 51 im Halbstundentakt erschlossen, der westliche vom AST 27.
Forstfeld/Lindenberg
Mit dem Entfall der Buslinie 25 in diesem Bereich bleiben neben der Bewegung an der frischen Luft nur noch die Buslinien 35 (Lindenberg—Lohfelden—Bergshausen) und 37 (Platz der Deutschen Einheit—Lohfelden—Söhrewald).

Linienbündelung wird noch verstärkt

Bislang sind lediglich die Tramlinien 4 und 8 über einen großen Teil des Linienverlaufs miteinander gebündelt (vom Bebelplatz bis nach Bettenhausen/Forstfeld), d. h. Fahrgäste aus diesen Gebieten müssen zwangsläufig umsteigen (Förderung von Einzelhandel und Gastronomie in der Innenstadt) oder kurze Wege zu Fuß zurücklegen. Vermutlich sieht man deshalb so viele dynamische Menschen im Vorderen Westen. In Zukunft soll dieses Privileg auch den Menschen im Wesertor und in Helleböhn zu Teil werden, wenn die Linien 3 und 7 parallel verkehren. Da sich eine Betriebsstörung in einem Streckenast damit auch auf das andere Ende des Linienbündels auswirkt, kann schnell und unbürokratisch ein Schienenersatzverkehr zu Fuß und mit dem Fahrrad eingerichtet werden. Damit findet vielleicht Critical Mass öfter statt – und Wandern ist in der Gruppe eh angenehmer.

Weitere Kritik

Während die Autolobby in Kassel über die Netzreform erfreut sein kann und die Fahrradlobby kaum existiert, formiert sich doch Kritik in Reihen der regelmäßigen ÖPNV-Nutzer, worauf im Folgenden kurz hingewiesen wird. Die verlinkten Artikel und Positionspapiere sind allesamt sehr fundiert und eine gute Ergänzung zu den zwei Artikel auf Nordhessische.de

Stellungnahme des BUND

In der kassel-zeitung wird über eine Stellungnahme des BUND berichtet, der sich kritisch mit der KVG-Liniennetzreform auseinander setzt. Etliche Punkt, die hier bei Nordhessische.de bereits angesprochen worden sind, thematisiert auch der BUND sehr ausführlich in einer Stellungnahme und spricht sogar von einem Kaputtsparen des Nahverkehrs in Kassel.

Aktionsbündnis des Umwelthauses

Die mit dem Umwelthaus Kassel verbundenen Initiativen, Verbänden und Vereinen haben ebenfalls ein Diskussionspapier zur Liniennetzreform veröffentlicht. Interessanter Weise ist auch der adfc mit von der Partie, wird doch das Fahrrad als Verkehrsmittel in Kassel aufgewertet. Das Umwelthaus geht dabei über das Diskussionspapier hinaus und sammelt Unterschriften für einen Ausbau des Kasseler ÖPNV, schließlich stehe die Netzreform im Widerspruch zum Verkehrsentwicklungsplan für die Stadt Kassel.