Nordhessische … Merkel vs. Böhmermann – Der § 103-Skandal

Merkel vs. Böhmermann – Der § 103-Skandal

Abstract

Ein Teil der Bundesregierung hat am Freitag über eine Strafverfolgung des Moderators und Satirikers Jan Böhmermann entschieden. Während sich die SPD-Minister Frank-Walter Steinmeier (Äußeres) und Heiko Maas (Justiz) gegen eine Verfolgung nach § 103 StGB ausgesprochen haben, waren die Regierungsmitglieder der CDU, Innenminister Thomas de Maizière und Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür, wobei ihre Stimme beim Patt den Ausschlag gegeben hat. Die von ihr verlesene Erklärung für die Entscheidung begründet diese nicht – und macht die „Causa Böhmermann“ endgültig zu einer Staatsaffäre.

Kanzlerin Merkel erlaubt Strafverfolgung nach Paragrafen, von dem sie nichts hält

Freitag Mittag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Entscheidung der Bundesregierung in der „Causa Böhmermann“ verlesen: Gegen den Moderator und Satiriker soll nach § 103 StGB ermittelt werden, weil Teile der Bundesregierung nach § 104a StGB ihr Plazet dazu gegeben haben. Gleichzeitig verkündet sie die geplante Abschaffung des fragwürdigen Paragrafen zum Jahr 2018, weil die Regierung diesen als für die Zukunft entbehrlich hält. Neben der Tatsache, dass diese Bundesregierung 2018 nicht mehr im Amt ist (weil die nächste Wahl ein Jahr vorher stattfindet), ist diese Kausalkette unlogisch: Wenn die (CDU-) Regierung die Sultansbeleidigung (so heute show-Moderator Oliver Welke am 15. April 2016) für entbehrlich hält, warum dann noch (einmal) anwenden?

Und es hat nichts mit „Gewaltenteilung“ zu tun

In ihrer Rede verweist Merkel auf die Gewaltenteilung in einem Rechtsstaat, weshalb es Sache der Justiz und nicht der Regierung sei, in der „Cause Böhmermann“ eine Entscheidung zu fällen. In Bezug auf den Vorwurf der Beleidigung nach § 185 StGB hat sie Recht, aber nicht in Bezug auf die „Majestätsbeleidigung“ – hier ist es doch gerade eine Entscheidung der Bundesregierung, und so steht es auch im Strafgesetzbuch. Ein mögliches Verfahren wegen Beleidigung ist davon vollkommen unabhängig. Die Bundesregierung hätte ohne Schaden auf Strafverfolgung wegen „Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupt“ verzichten können, wenn sie sie für entbehrlich hält. Die Sinnfrage hinter ihrer Entscheidung stellen übrigens auch Juristen wie Udo Vetter vom lawblog.

Eine Staatsaffäre

Spätestens mit diesem „Eiertanz“ ist die ganze Angelegenheit zu einer Staatsaffäre geworden. Man schaue sich noch einmal das Video ihrer Erklärung an: Mit wenigen dürren Sätzen geht sie konkret auf Jan Böhmermann und sein Gedicht ein (nicht auf den Kontext). Ihre „Lehrstunde“ über das Wesen eines Rechtsstaats sowie die Beziehungen zur Türkei nehmen hingegen viel Raum ein. Der Flüchtlingsdeal mit Erdoğan hat also anscheinend doch eine Rolle gespielt. Solch eine politisch-diplomatische Überlegung hat allerdings mit der nüchternen Urteilsfindung in einem Rechtsstaat nicht viel gemeinsam.

Vielleicht steckt aber auch das Kalkül dahinter, in bewährter Manier keine tatsächliche Entscheidung zu treffen – sondern sie in diesem Fall der Justiz zu überlassen. So klar, wie die Handlungsvermeidungsstrategie der Regierung Merkel hier wieder zu Tage tritt, kann Deutschland wirklich von Glück reden, dass bislang noch keine gravierenden Probleme aufgetreten sind und „Mutti Merkel ihre Schäfchen“ bislang immer noch hat wieder in den Schlaf wiegen können.

Situation unterschätzt

Dieses Ansinnen steckte wohl auch hinter ihrem schnellen Telefonat am Wochenende nach der Sendung – und bescherte jetzt diese lange Woche des Wartens: Die „Kuh“ schnell vom Eis bringen mit einer schnellen „Anteilnahme“ – unter vollkommener Fehleinschätzung der öffentlichen Meinung. Dabei hat die Debatte über Böhmermann, das Gedicht und die Sendung nicht nur zwei Wochen die deutsche Öffentlichkeit beschäftigt, sondern zunehmend auch die Aufmerksamkeit im Ausland auf sich gezogen.

Grundrechte doch verhandelbar?

In der Washington Post wird Udo Vetter mit dem Satz zitiert, dass nach Merkels Entscheidung die deutsche Justiz nun „in Erdoğans Namen“ tätig werden müssen. Dies sende [angesichts der Situation von Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei] eine vollkommen falsche Botschaft aus. Man kann seine Worte in diesem Kontext so deuten als Vorwurf, als seien diese Grundrechte eben doch ein bisschen verhandelbar – was kurz zuvor in der „Causa extra3“ noch explizit ausgeschlossen worden war – und was eines Rechtsstaats unwürdig wäre, wie die Kanzlerin in ihrer Erklärung auch gesagt hat.

(K)ein Unterschied zu sonst

Das Taktieren um möglichst unauffällig nirgends anzuecken hat Angela Merkel während ihrer Amtszeiten perfektioniert (der Artikel hat noch mehr interessante Ebenen über die Wirkung von Böhmermanns Sendung am 31.03.2016). Dem entsprechend ist dieser „Eiertanz“ erst einmal nichts als eine weitere „Tanzstunde“. Auf Grund der medialen Aufmerksamkeit des Falls – der Angeklagte ist ein Meister an der Klaviatur der öffentlichen Wahrnehmung – kommt hier allerdings die (Un-) Tätigkeit der Kanzlerin sehr gut zum Vorschein. Indirekt und vielleicht ungewollt ist sie Teil einer großen Realsatire des Moderators einer kleinen schmutzigen TV-Sendung geworden, der ihren politischen Handlungsunwillen und ihre politische Ohnmächtigkeit vorführt. Es scheint, als hätte sie sich hier grob verzockt – nachdem zuletzt in der „Flüchtlingskrise“ das Ansehen in der Bevölkerung gestiegen war. Denn plötzlich geht es um Grundrechte, die auch von Seiten „alternativer Parteien“ unter Beschuss geraten sind, weshalb Presse und Medien in Abwehrhaltung zusammengerückt sind. Dass Kabarettisten zusammen halten, sollte man erwarten, dass ihnen die Presse soviel und massiv Rückendeckung gibt, war zumindest für den Autor dieser Zeilen unerwartet – und ein starkes Signal für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Diese Geschlossenheit lässt für die Zukunft hoffen angesichts der Bedrohung von neokonservativ-rechts – und könnte der Anfang vom Ende von Merkels Kanzlerschaft sein.